: Neue Großbaustellen für das „Neue Berlin“
Hochhäuser an der Gedächtniskirche, Downtown am Alexanderplatz, U-Bahn-Bau Unter den Linden. Kaum ist in der Hauptstadt Baustellenruhe eingekehrt, drehen sich die Kräne von neuem
Fünf Jahre nach der Wende war Halbzeit. Aus der „Stadt der Pläne“, jubelte damals der Berliner Senat, war die „Stadt der Kräne“ geworden. Baugruben allenthalben, die Baustelle als „Schaustelle“ – Berlin hatte sein neues Image als größter Buddelkasten der Nation weg.
Weitere fünf Jahre später ist aus der „Stadt der Kräne“ nun die Stadt der verwirklichten Pläne geworden. Doch noch immer liegen in den Schubladen die unverwirklichten Pläne. Und die könnten bei der derzeit grassierenden Baustellenmüdigkeit zum kommunalpolitischen Dauerbrenner avancieren. Der Berliner Politiker als Hans-Guck-in-die-Luft.
Hinter vorgehaltener Hand hat man im Hause von Bausenator Peter Strieder (SPD) den Ernst der Lage erkannt. Nicht umsonst hat Strieder sich bereits für eine Überprüfung der Pläne der Berliner „Kanzler-U-Bahn“ ausgesprochen. Eine dreijährige Baugrube an Berlins Tourismuskreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden würde kein Bausenator ohne größeren Schaden überstehen.
„Baustellen“ als „Staustellen“ drohen jedoch nicht nur in der Friedrichstraße, sondern auch in der City-West. Nach der Wende von weitreichenden Planungen zunächst verschont, hat sich das Westberliner Zentrum rund um Gedächtniskirche und Breitscheidplatz in den Berliner Planspielen in den vergangenen Jahren nach vorne geschoben.
Manch einer redet sogar schon von der neuen Berliner „Downtown“, die zwischen Bahnhof Zoo und Breitscheidplatz entstehen soll. Zwar will der neue Bausenator auch hier „weitere Hochhäuser verhindern“. Doch zwei von ihnen sind bereits fertig gestellt, zwei weitere – höhere – genehmigt. Die Charlottenburger können sich also getrost auf Verhältnisse einrichten, die die Berliner im Bezirk Mitte bereits zur Genüge kennen.
Doch auch in Mitte sind noch längst nicht alle Bagger zum Stillstand gekommen. Vor allem dem Alexanderplatz steht sein Coming-out als Großbaustelle noch bevor. Bereits seit Jahren liegen die Pläne für elf Hochhaustürme in den Schubladen, nun soll es bald losgehen. Als vorbereitende Maßnahmen sollen zunächst der Straßentunnel unter der Grunerstraße zugeschüttet und die Straße „Alexanderplatz“ verengt werden. Um dem Potsdamer Platz als neuem Berliner Kinostandort Paroli bieten zu können, soll am Alex auch bald ein neues Multiplex aus dem Boden gestampft werden. Vorrang hat auch die Bebauung der Alexanderstraße bis hin zur Jannowitzbrücke mit dem üblichen Mix aus Wohnungen und Büros.
Zum zweiten Schwerpunkt einer neuen Bauwelle könnte in Mitte der Straßenzug zwischen Leipziger Straße und Alexanderplatz avancieren. Auf diesem in den zwanziger Jahren überaus urbanen Band reihen sich die Bauwünsche von Senator Strieder wie auf einer Perlenkette. Vor allem die historischen Kreuzungen und Plätze wie der Spittelmarkt und der Molkenmarkt sollen wieder gefasst werden. Zudem ist der Rückbau des überdimensionierten, teilweise achtspurigen Straßenzuges vorgesehen. Von den insgesamt 50.000 Wohnungen, die der Bausenator im Zuge seines „Planwerks Innenstadt“ in der City bauen will, entfällt ein Großteil auf dieses Band.
So sehr der Beginn einer neuerlichen Baustellenwüste zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße sowie rund um die Gedächtniskirche Berliner wie Touristen als Schreckensvision gelten mag, so unspektakulär geht gerade eine andere Großbaustelle ihrer Vollendung entgegen. Ganz im Schatten der Debis-City und des nun teileröffneten Sony-Centers am Potsdamer Platz bekommt auch der benachbarte Leipziger Platz derzeit seine Form zurück.
Vor allem südlich der knallroten Infobox entstehen derzeit viele Bauten, die der barocken Platzanlage, zumindest vom Straßengrundriss, wieder die alte Form eines Oktogons verleihen sollen. Wahrscheinlich gelten im „exterritoralen“ Gebiet des ehemaligen Mauerstreifens andere Gesetze als im Rest der Stadt. Wenn neben dem Potsdamer nämlich auch der Leipziger Platz fertig sein sollte, weiß niemand mehr, worauf er vom Dach der Infobox schauen sollen. Schließlich sind fertige Bauten allemal langweiliger als spektakuläre Baugruben.
Ein Superlativ wird den Berlinern freilich bleiben. Die ehedem „größte Baustelle Europas“, die der Potsdamer Platz war, liegt nun keinen Kilometer entfernt am Lehrter Bahnhof, der Baustelle des ICE-Kreuzungsbahnhofs hinter dem Reichstag. Uwe Rada
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