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Wenn Widerstand zur Bierflasche greift

Seit Tagen protestieren in Österreich Tausende gegen die Regierungsbeteiligung der rechten FPÖ. Dabei geraten immer wieder Polizei und Demonstranten aneinander. Nutzen dürfte das ausgerechnet Jörg Haider ■ Aus Wien Ivan Ivanji

Die Nacht von Samstag auf Sonntag. Durch die Josefstadt, den ruhigen achten Bezirk, marschiert eine Kolonne von etwa tausend meist sehr jungen Menschen. Sie tragen Tafeln mit der Aufschrift „Widerstand“ und „Wir haben Angst“, schwarze und rote Fahnen. Voraus fahren Polizeifahrzeuge und machen der Demonstration den Weg frei, neben den Protestlern marschieren Polizisten in schwarzer Uniform, mit schwarzen Helmen und maskenartigen dunklen Scheiben vor den Gesichtern, schweren Stiefeln, großen Schilden und Schlagstöcken.

Sie sehen aus wie das tödliche Wachpersonal auf fremden Planeten in US-amerikanischen Science-Fiction-Filmen, unnahbar und sehr gefährlich. Hinter dem Zug fahren die Mannschaftswagen mit Polizeireserve, am Ende Reinigungsfahrzeuge und die Männer, die die Straßen säubern in ihren rotorangefarbigen Overalls. Das sind die einzigen Ausländer auf der Straße. In der Nähe befinden sich zwei Lokale, das eine wird von Serben frequentiert, das andere von Kroaten. Meist waren sie in der Nacht zum Ärger vieler Bürger sehr laut. Seit die neue Regierung da ist, hört man von ihnen keinen Ton.

Plötzlich Wirbel am Rande der Kolonne. Ein Mädchen knickt ein, ein Beamter hat sie mit dem Knüppel auf die Beine geschlagen, angeblich hat sie ihm vorher unfreundliches zugerufen, „Polizistenschwein!“. Um den Beamten, den Kollegen in Schutz nehmen, versammeln sich Demonstranten, sie sind in der Überzahl. Einige Besonnene unter ihnen beruhigen die Lage. Fast wäre es zum Straßenkampf gekommen.

So war es in den beiden letzten Nächten in vielen Bezirken Wiens, nicht nur vor den Regierungsgebäuden in der Innenstadt. In der Prachteinkaufszeile, der Kärntner Straße, waren Wasserwerfer im Einsatz. Der Polizeisprecher sagt, man würde gegen terroristische Elemente hart durchgreifen. Kommen jetzt Tränengas, Gummigeschosse, am Ende Warnschüsse in die Luft? Gestern Nacht ist angeblich einer in der Alser Straße gefallen.

„Warum demonstriert ihr?“, frage ich.

Die jungen Leute sind nicht gesprächig. Ich bin wahrscheinlich ihrer Meinung nach viel zu alt. Für sie ist es selbstverständlich zu wissen, warum man jetzt auf die Straße gegangen ist.

„Widerstand gegen Faschisten! Wir wollen mit der Welt in Frieden leben und uns nicht schämen müssen!“

„Kann man so etwas erreichen?“

Chaoten mischen sich in die Menge. Bierflaschen fliegen in Richtung der Polizei, die schönen Wiener Grünanlagen werden zertrampelt. Manche alte Bürger bringt das gegen die Demonstranten auf, man könnte befürchten, das wirbt für die Law-and-Order-Philosophie der so genannten Freiheitlichen, der Haider-Partei FPÖ.

Die neue Regierung kümmert sich wenig um Protestzüge, hat aber panische Angst vor wirtschaftlichen Folgen. Das Hotelgewerbe fürchtet Einbußen. Schon werden internationale Kongresse abgesagt. Die Nahrungsmittelindustrie würde gerne mehr exportieren. Diese Probleme treffen auch die Bauern. Belgien storniert den Kauf von gepanzerten Rettungsfahrzeugen für seine Armee. Die Aktien österreichischer Firmen fallen weltweit.

All das wird in absehbarer Zeit die Zahl der Arbeitslosen erhöhen. Es scheint, erst wenn die ersten großen Streiks stattfinden, wenn die Arbeiter auf die Straßen gehen, wird es ernst im bisher glückseligen Österreich.

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