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Warten an der Bushaltestelle

Die iranischen Berlinale-Filme formulieren Sprachlosigkeit ■ Von Thomas Winkler

Es ist diese Sprachlosigkeit, die einen anschreit von der Leinwand. Sie hat viele Gesichter, aber es bleibt doch Sprachlosigkeit: Ob inmitten des tobenden Straßenlärms, in einem frühlingshaften Park unter Vogelgezwitscher, ob in einem menschenleeren Café oder einer voll besetzten Kneipe, im Auto oder nebeneinander herlaufend, ob zwischen Kindern und Eltern oder zwischen Männern und Frauen, es bleibt doch Sprachlosigkeit. Meistens macht es nicht einmal einen Unterschied, ob geschwiegen oder gesprochen wird. Ob in „Yek rouz bishtar – One More Day“ (Panorama) oder in „Dokhtari ba kafsh-haye-katani – Das Mädchen in den Turnschuhen“ (Kinderfilmfest), die Kommunikationsstörungen zwischen den Generationen und vor allem zwischen den Geschlechtern scheinen das zu sein, was den iranischen Film momentan umtreibt.

„One More Day“ beginnt mit dem quälend langsamen Heranfahren der Kamera aus der Totalen auf die Rücken zweier Menschen, die im Wartehäuschen sitzen. Jeden Morgen begegnen sie sich an dieser Bushaltestelle, fahren eine kurze Strecke zusammen, sitzen sich schweigend gegenüber, treffen sich vorsichtig ihre Blicke. Woher die Bedrohung kommt, worin sie überhaupt besteht, das wird niemals klar, aber sie ist da, jederzeit und ganz selbstverständlich, wird aber nicht hinterfragt.

Der Mann ist verwitwet. Er arbeitet als Hausmeister in einem Krankenhaus und handelt auf dem Schwarzmarkt mit Medikamenten. Seine Beziehungen zu Arbeitskollegen und Geschäftspartnern sind rein professioneller Natur. Von der Frau erfahren wir noch weniger. Auch die Art der Beziehung zwischen den beiden bleibt konsequent im Unklaren: Vielleicht sind sie miteinander verwandt, vielleicht waren sie einmal verliebt, vielleicht haben sich an der Haltestelle zum ersten Mal gesehen. Eins immerhin ist klar: Es ist die Einsamkeit, die die beiden miteinander verbindet. Diese Einsamkeit wird im Film mit Händen greifbar, wenn die Kamera den beiden folgt, wenn sie mit Gesichtern, auf denen sich niemals ihre Emotionen spiegeln, durch ein tristes Teheran gehen.

Die iranische Hauptstadt ist in beiden Filmen eine anonymisierende Metropole, die sich in ihre unendlichen Traurigkeit kaum noch von ihren westlichen Kolleginnen unterscheidet. Während die Stadt in „One More Day“ vor allem austauschbar und abweisend wirkt, begibt sich „Das Mädchen in den Turnschuhen“ auf eine Reise von den lauschigen Bezirken der Reichen über das pulsierende Zentrum in die dunklen Slums der Obdachlosen an der Peripherie. Die 15-jährige Tadaei wird aus der Bahn geworfen, als ihre rein platonische Beziehung zu dem gleichaltrigen Aidin entdeckt wird. Weil die beiden im Park auf die Frage eines Passanten: „Seid ihr verwandt?“, nur mit „Nein“ antworten können, wird sie von ihren Eltern zur gynäkologischen Untersuchung geschleppt und ihr der Kontakt zu Aidin verboten. Am Tag darauf schwänzt sie die Schule und lässt sich ziellos durch die Stadt treiben.

Allein dass der Film offen mit Themen wie Obdachlosigkeit, Drogen, Kinderhandel und Prostitution umgeht, ist für iranische Verhältnisse außergewöhnlich. Zentral aber bleiben die Nöte seiner jugendlichen Protagonisten, die durch die Zwänge des Gottesstaates entstehen. Noch ist Tadaies Protest ein stummer, aber ein bisher noch sprachloses Selbstwusstsein bricht sich langsam Bahn. Zwar soll der Film auf einer wahren Begebenheit beruhen, aber er vermittelt mit seinen schlichten, fast dokumentarischen Bildern und seiner völlig unaufgeregten Erzählweise eher den Eindruck, als wäre der Ausbruch von Tadaie ein Vorfall, wie er tagtäglich im Iran stattfindet.

Noch kratzen die Menschen nur vorsichtig an den Konventionen, die sie wie eine unsichtbare Wand umgeben und es nahezu unmöglich machen, zu anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Sowohl „One More Day“ als auch „Das Mädchen in den Turnschuhen“ formulieren den Schwebezustand, der eintritt, wenn ein zuvor scheinbar unverrückbar starres System erste Risse zeigt. Beide Filme enthalten sich aber jeden Kommentars, auch wenn sie ihre Protagonisten mit Sympathie verfolgen. Das anzusehen kann mitunter quälend sein.

„Yek rouz bishtar“. Regie: Babak Payami. Mit Ali Hosseini, Laila Sa’di. Iran 1999, 75 Min.; 15. 2., 12.30, Cinemaxx 7, 17. 2., 14.30, International „Dokhtari ba kafsh-haye-katani“. Regie: Rassul Sadr-Ameli. Mit Pegah Ahangarani, Majid Hajizade, 1999, 110 Min.; 15. 2., 10 Uhr, Zoo-Palast, 16. 2., 10 Uhr, Cinemaxx 4, 17. 2., 16 Uhr, Zoo-Palast, 18. 2., 10 Uhr, Cinemaxx 4, 19. 2., 16 Uhr, FaF

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