: Generation P&C
Nur der Himmel weiß, wie ich in meinem neuen Anzug wirklich aussehe: Florian Illies stellt in der Literaturagentur Eggers & Landwehr sein Buch über Kohls traurige Kinder vor
Holger Kunze sagt, dass er früher Latzhosen getragen und Linksrock gehört hat. Irgendwann ist er dann auf schwarze Bundfaltenhose, Depeche Mode und die Smiths umgestiegen: „Heaven knows I’m miserable now.“ Alle lachen. Über früher reden ist wie an den Fußsohlen kitzeln.
Holger Kunze kann schön erzählen, und wie er da so in seinem braunen Anzug und einem pastellblauen Hemd in den Räumen der Literaturagentur Eggers & Land-wehr steht, könnte man ihn sich gut als Schriftsteller vorstellen. Er könnte bestimmt gut aus den „Weißt du noch . . .“-Gesprächen, die man ja gerne mal auf Partys führt, ein Erinnerungsbuch an die späten 70er- und frühen 80er-Jahre schreiben.
Das läge sehr im Trend, aber das weiß Holger Kunze selbst. Er ist Lektor, und er soll eigentlich Florian Illies vorstellen. Florian Illies ist 28 Jahre alt, leitender Redakteur bei den „Berliner Seiten“ der FAZ und hat das Buch „Generation Golf. Eine Inspektion“ geschrieben. Wie das im Literaturbetrieb so üblich ist, trafen sich einige Tage vor Erscheinen schon mal Verlagsleute und Kritiker, um mit Freunden und Verwandten des Autors das neue Buch anzugucken. Bei Eggers & Landwehr sind diese kleinen Veranstaltungen hübsch, weil sie in einer wohnzimmerhaften Atmosphäre am Lietzensee stattfinden: Parkettfußboden, an den Wänden Bücherregale und in den Gläsern guter Wein.
„Weißt du noch . . .“: Auf dem roten Sofa in der Mitte des Raumes hatte irgendwann im letzten Jahr noch Christoph Peters gesessen und darauf gewartet, ein Kapitel aus seinem Roman „Stadt Land Fluss“ vorzulesen. Neben ihm hatte, etwas nervös, der FAZ-Redakteur Florian Illies gestanden und viele nette und schlaue Dinge über Christoph Peters Roman gesagt.
Heute darf Florian Illies selbst lesen. Das erste Kapitel aus „Generation Golf“ beschreibt sehr genau das Interieur der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, erzählt von „Wetten, dass . . .?“ mit Frank Elstner und Erdnussflips, Schultaschen von Scout und Dany plus Sahne, den immer nur die anderen für die große Pause eingepackt bekamen. Das ist früher, das kitzelt, und bei Eggers & Landwehr finden das alle lustig. Als Florian Illies am Ende sagt, die 80er-Jahre seien die „langweiligste Zeit seines Lebens“ gewesen, nicken alle mit dem Kopf: Illies weiß, wie miserable alles war und wie schön es ist, trotzdem viel darüber zu reden.
Florian Illies versucht in „Generation Golf“ so etwas wie ein soziologische Analyse der „bis zur Intoleranz toleranten“ Generation der heute Dreißigjährigen, der Kinder Kohls. Das ist alles sehr Feuilleton und sehr bekannt, aber Heike Makatsch hat trotzdem „am Anfang sehr gelacht“ und war „am Schluss sehr traurig“. Das steht auf dem Schutzumschlag, und gleich darunter findet Benjamin von Stuckrad-Barre, der bis vor kurzem noch Popstarredakteur bei den „Berliner Seiten“ war, dass sein ehemaliger Kollege „alles begriffen“ hat. Obwohl „die Generation Golf das ironisch Gebrochene bei jeder Handlung mitdenkt“ (Florian Illies), ist das vermutlich als Lob gemeint.
Die beiden Literaturkritiker Makatsch und Stuckrad waren beide nicht bei Eggers & Landwehr. Dort trafen sich nur die etwas weniger prominenten Vertreter der „Generation Golf“ bzw. der „Starnberger-See-Düsseldorf-Bonn-Berliner-Teil“, wie es bei Florian Illies heißt: Mercedes Bunz, Mitherausgeberin von DeBug und formatkompatible Club-Reporterin der „Berliner Seiten“, zum Beispiel hüpfte irritiert zwischen den definitiv nicht WMF-kompatiblen Schul- und Studienfreunden ihres Arbeitgebers herum.
Die Freunde sahen alle wie Florian Illies oder Benjamin von Stuckrad-Barre aus. Mit Seitenscheitel, schmalen Koteletten und Designerbrille (Modell Illies). Oder mit ganz kurzem Haar und markanter Nase (Modell Stuckrad). Und alle mit Anzug.
Seit „(Christian) Kracht und Stuckrad-Barre sich in einer Anzeigenkampagne für Peek & Cloppenburg auch als konsequente Anzugträger“ bekannt hatten, trägt die Generation Golf Anzüge. Das weiß der Mann, der alles weiß: Florian Illies, der selbst einen grau melierten Anzug anhatte und darin zunächst sehr jazzy aussah. Bis sich dann einer seiner Schul- und Studienfreunde in genau dem gleichen Anzug neben ihn stellte. Es ist schwer, heute noch originell zu sein. Früher war anderes schwer. Über beides kann man heute Bücher schreiben. Kolja Mensing
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