: Nur die Sinnfrage ist noch ungelöst
■ Die Cebit 2000 zeigt die neuen Spielzeuge für das Internet. Sie sind so klein, dass man fast nichts mehr sieht.Das Surfen am guten alten PC wird in diesem Jahr so billig wie noch nie – mit und ohne Windows 2000
Mobil und drahtlos – diese Schlagworte beherrschen die Cebit 2000, die heute auf dem Hannoveraner Messegelände ihre Tore öffnet. Im Mittelpunkt steht in diesem Jahr alles, was sich in die Tasche stecken lässt: zum Beispiel Handys, die kleiner und leichter sind als ihre Vorgänger und mit denen man im Internet surfen kann; oder Westentaschencomputer, die dank höherer Speicherkapazitäten und brillanterer Displays ihren großen Brüdern immer ähnlicher werden.
Einen Besucherrekord erwarten die Veranstalter dennoch nicht. Die Vorbuchungen in Hotels deuteten auf eine Besucherzahl auf Vorjahresniveau hin, erklärte die Deutsche Messe AG Anfang der Woche. Mit 7.802 Ausstellern und einer Fläche von rund 420.000 Quadratmetern sei die Cebit allerdings so groß wie nie zuvor.
Dennoch ist die Stimmung eher gedämpft: Immer häufiger stellt sich die Frage nach dem praktischen Nutzen der neusten Spielzeuge, die meist ohnehin schon lange vor Hannover im Internet vorgestellt worden sind. Die blanke Technoeuphorie der letzten Jahre ist einem skeptischen Pragmatismus gewichen. Eine Armbanduhr etwa, die auf Sprachbefehle gehorcht und mit der man telefonieren kann, wird heute eher belächelt als bestaunt.
Mit 2.840 Ausstellern liegt das Schwergewicht der Messe auf der Software. Hauptattraktion ist hier das lange angekündigte Microsoft-Betriebssystem Windows 2000, dessen deutsche Version auf der Cebit erstmals öffentlich vorgeführt wird. Der für mittlere Rechner konzipierte Nachfolger von „WindowsNT“ hat vor allem deswegen vorab für Aufregung gesorgt, weil nach internen Schätzungen von Microsoft mehrere zehntausend unbehobene Fehler im Quellcode schlummern. Microsoft-Gründer Bill Gates wurde trotzdem nicht müde, zu versichern, dass Windows 2000 die stabilste Version sei, die es je gegeben habe. Wahrscheinlich hat er sogar Recht. Nach eigenen Angaben hat Microsoft dafür rund zwei Milliarden Mark investiert. Schärfster Konkurent auf diesem Segment ist das fast kostenlos erhältlichen Betriebssystem Linux, für das heute alle namhaften Softwarehäuser Anwendungen anbieten.
Platz zwei nach dem Softwaresegment belegt die Hardware der Informationstechnik mit 1.490 Ausstellern. Neben schnelleren Computern, kleineren Pamtops, günstigeren Flachbildschirmen und neuen MP3-Abspielgeräten ist hier schon eher mal eine Sensation aus der Zukunft zu besichtigen. Zum Beispiel die Cyberkleidung mit integriertem Kleinstrechner des Böblinger Unternehmens Xybernaut. Andere Roboter sollen bald einmal unsere Haustiere ersetzen. Beispiele können Besucher etwa an dem Stand der japanischen Hardwareschmiede Sony bewundern.
Nichts mehr, auch kein Computerspiel, kommt heute ohne das Internet aus. An dritter Stelle der Messerangordnung steht der Bereich Telekommunikation. Die Hintergrundhardware für Leitungen und Knotenrechner, die dort auch zu sehen ist, erschließt sich traditionellerweise nur Fachleuten. Die Vorderbühne beherrschen die Onlinedienste, allen voran die Telekom-Tochter T-Online und AOL, soeben zum weltgrößten Medienkonzern aufgestiegen. Rechtzeitig zur Cebit haben die beiden Hauptrivalen auf dem deutschen Providermarkt eine neue Runde im Preiskampf eröffnet. Die Telekom verspricht Pauschaltarife, AOL auch, die Telekom will sämtliche Schulen umsonst ans Netz anschließen, AOL wenigstens 44.0000.
Abgerechnet wird später. Der Providerverband eco, der einen Großteil der Mittelständler in diesem Geschäft vertritt, erwägt eine Klage gegen die von der Telekom angekündigtePauschale von „weniger als 100 Mark“ im Monat. Die Chancen stehen gut, dass der Staatsmonopolist zu einem drastischen Schritt bei den Ortgesprächen gezwungen wird. Denn nur so kann die gesetzliche Auflage eines „diskriminierungfreien Zugangs“ für die private Konkurrenz erfüllt werden.
Surfen vom alten PC aus wird so billig wie noch nie – doch der E-Commerce setzt noch lieber auf die Handys, die das Wireless Application Protocol (WAP) beherrschen. Sie sollen speziell vorbereitete Internetwebseiten aufs Miniaturdisplay zaubern.
Zu sehen ist davon bisher wenig. Obwohl Hersteller und Netzbetreiber den neuen Standard schon seit über einem Jahr vollmundig ankündigen, kommt die dafür notwendige neue Generation von Mobiltelefonen erst jetzt in großer Stückzahl auf den Markt. Aber auch wer schon vorher ein Gerät ergattern konnte, war eher ernüchtert als begeistert. Internetsurfen mit WAP-Technologie erinnert stark an die Anfangszeiten von Btx, dem Vorläufer des heutigen Onlinedienstes T-Online: Grobe Klötzchengrafik, niedrige Übertragungsraten und hohe Minutenpreise verderben schnell die Lust am Surfen mit dem Handy.
Es stellt sich die Frage, ob Mobiltelefone prinzipiell für den Zugang zum Internet geeignet sind. Zwei Anforderungen widersprechen sich: Einerseits können Handys nur über winzige Anzeigen und Tastaturen für Zwergenfinger verfügen, um leicht und handlich genug zu sein. Andererseits sollen sie ihren Besitzern plötzlich einen möglichst komfortablen Internetzugang bieten. Solange dieser Widerspruch nicht aufgelöst werden kann, so unken Experten, wird er wohl dazu führen, dass es bald mehr WAP-Seiten als WAP-Nutzer geben wird.
Angenehmer ist die Reise durchs Internet, wenn das Handy mit einem so genannten Palmtop – einem Computer in Handtellergröße – kombiniert wird. Die Zwergrechner aus blankem Aluminium oder schickem Plastik, die schon so manches Filofax ersetzt haben, bieten bessere Voraussetzungen für Datenreisende: Farbdisplays, Handschrifterkennung und komfortable Kommunikationsprogramme. Über Infrarotschnittstellen oder Kabel lassen sie sich problemlos mit schon heute marktüblichen Handys zum Surfbrett für unterwegs aufrüsten. Hauptvorteil des Duos: Es ist nicht auf den neuen WAP-Standard angewiesen, sondern begnügt sich mit Internetseiten, die in der schon lange üblichen Internetsprache HTML (Hypertext Meta Language) verfasst sind.
Auf der Cebit zeigen fast alle Palmtop-Hersteller, darunter 3Com, Casio, Psion und Compaq, neue Modellreihen. Revolutionäre Neuerungen gibt es kaum, dafür zahlreiche Verbesserungen im Detail: Die Geräte sind dünner und leichter, verfügen über mehr Speicherkapazität, kontrastreichere Displays und eine verbesserte Handschrifterkennung. Marktführer 3Com präsentiert gleich drei neue Modelle seiner Palmtop-Serie, darunter auch ein Einsteigermodell zum Kampfpreis von knapp 400 Mark. Psion zeigt sein neues, ein Kilogramm schweres Netbook, das sogar Internetseiten mit interaktiven Java-Elementen verarbeiten kann. Zum richtigen Allroundtalent werden zwei neue Kommunikationsstandards die notizbuchgroßen Computer machen: GPRS (General Pocket Radio Service) und Bluetooth – beide werden auf der Cebit vorgestellt. GPRS, eine schnellere Übertragungstechnik für Mobilfunknetze, wollen die deutschen Betreiber T-Mobil, Mannesmann D2 und Viag Interkom bereits im Herbst einführen. Der Clou: Weil dann nur noch die Menge der übertragenen Daten, nicht aber die Verbindungszeit für die Gebührenberechnung ausschlaggebend ist, ermöglicht GPRS praktisch eine mobile Standleitung ins Internet. WAP-Handys und Palmtops können also rund um die Uhr mit dem Internet verbunden bleiben, ohne dass die Gebührenuhr tickt. E-Mails, Börsenkurse und Nachrichten gelangen in Echtzeit zum Empfänger.
„Bluetooth“, der zweite Standard, ermöglicht die Vernetzung verschiedener Geräte via Funk. Desktops, Palmtops und Handys können dadurch ohne Sichtverbindung mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Megabit pro Sekunde kommunizieren. So können zum Beispiel Daten zwischen PC und Palmtop schneller und einfacher abgeglichen werden.
Der Drang, neue Funktionen in Mobiltelefone zu integrieren, hat auch vor der Musik nicht Halt gemacht: Mehrere Aussteller zeigen auf der Cebit erstmals Mobiltelefone, mit denen sich Musik im populären MP3-Format abspielen lässt. Bis zu 30 Minuten Musik lassen sich auf den neuen Geräten speichern. Aber auch hier stellt sich die Frage nach dem Sinn: Warum sollte man sich ein schwereres und teureres Handy kaufen, mit dem man Musik abspielen kann, wenn es wesentlich komfortablere und günstigere MP3-Player gibt? Jens Uehlecke
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