: Viel Designum nichts
Visionen und revolutionäre Entwicklungen sucht man auf der Computermesse Cebit vergeblich. Die meisten Aussteller halten an ihrem konkreten Produkt fest ■ Aus Hannover Matthias Urbach
Die Scan Coin SC 313 sieht aus wie ein Fleischwolf. Doch oben werden statt Rindfleisch Münzen eingeworfen. In nur einer Minute zählt das Gerät 2.700 Münzen und stopft sie in Plastikschläuche oder was auch immer. Wer auf der Computermesse Cebit gleich zu Anfang an den Stand der schwedischen Firma Scan Coin in Halle 18 gerät, ist irritiert. Wo ist hier die High-Tech? Und hat denn Kleingeld überhaupt noch Zukunft? „Haben Sie denn kein Kleingeld in der Tasche?“, lautet die Gegenfrage des lächelnden Scan-Coin-Verkäufers.
„Get the spirit of tomorrow“, heißt es auf dem roten Cebit-Plakat. Doch wer auf der diesjährigen Computerfachmesse in Hannover den „Geist von Morgen“ sucht, sucht vergeblich. Auch wenn einem chromglänzende Internet-Handys mit eingebauten Tastaturen, elektronische Bücher oder Scheckkarten mit maschinenlesbarem Fingerabdruck präsentiert werden – selbst Firmen wie Microsoft oder IBM präsentieren sich nicht visionärer als die schwedischen Kleingeldtechniker.
Der beliebteste Stand ist wieder mal der von Microsoft in Halle 2. Schon gegen Mittag drängen sich hier die Massen vor der Präsentation des neuen Betriebssystems Windows 2000. In Microsofts „Kino zwei“ wird die schöne Zukunft demonstriert: Ein Firmenchef freut sich in dem Filmchen über die „Bilder vom neuen Produkt“, die er gestern mit seiner digitalen Kamera geschossen haben will. Die möchte er gleich in seinen PC einlesen. „Brauchen wir da keine neue Software“, fragt ahnungslos seine Sekretärin. „Nein, dank Windows 2000 nicht“, so die Antwort. Microsoft weiß, was Deutschlands Manager wünschen. Von Visionen keine Spur.
Die soll angeblich das Internet-Handy verkörpern. Kein Produkt wurde im Vorfeld der Messe so gehypt wie der neue WAP-Standard, der ein Surfen per Handy ermöglichen soll. Und wacker preist gleich ein paar Meter von Microsoft entfernt der zu AOL-Time Warner gehörende Onlinedienst Compuserve die neue Technik an. „Stellen Sie sich vor, sie halten Aktien einer Firma“, ruft die Compuserve-Animateurin den zehn, elf Leuten zu, die stehen geblieben sind. „Und es gibt eine brandaktuelle Entwicklung – da wollen sie doch sofort Bescheid wissen!“ Aktienkurse, Flugverbindungen, Nachrichten – das alles sollen wir bald auf dem Handy entziffern.
Doch außer einigen Internet-Anbietern und den Telekommunikationsfirmen, die sich inzwischen über sieben Hallen ausgebreitet haben, glaubt niemand so richtig ans WAP-Handy. Zwar will etwa auch die Dresdner Bank ein paar Infos per WAP anbieten, ansonsten ist man dort skeptisch. Experten, die gar nichts damit zu tun haben, meinen: „WAP ist tot.“ Das sagt etwa EnBW-Vertreter Marco Tonelli, der in Halle 17 den kurz vor der Marktreife stehenden Plan präsentiert, über Stromleitungen zu surfen und zu telefonieren. „Wenn ich unterwegs einen Flug heraussuchen muss, gehe ich nicht mit dem Handy ins Internet, sondern rufe meine Sekretärin an.“ Keiner kann sich dafür erwärmen, auf einem Minidisplay durch lange Texte zu scrollen. Doch außer WAP präsentieren sich die Telekommunikationsfirmen so einfallslos wie das Tina-Turner-Double auf dem Stand von E-plus.
Statt Visionen zu präsentieren, halten sich die meisten Aussteller an ihrem konkreten Produkt fest: Die Schweizer Firma Ascom etwa präsentiert in Halle 17 ihre kabellose ISDN-Anschlussbox „voo:doo“. Von da aus kann man per Funk Haustelefon, Fax und Laptop anschließen – und auf der Veranda im Internet surfen. Doch wie das unser Verhältnis zum Computer ändern könnte, wie es weitergeht, da haben sie keine Idee. Es sieht so aus, als hätten sie schon genug damit zu tun, ihr Gerät zum Laufen zu bringen. Es ist verhext. Beim Vorführen für einen Kunden bekommt das Laptop leider keinen Funkkontakt.
Solche Probleme will IBM in Halle 2 vermeiden und lässt die dunkelhaarige Frau im obligatorischen kurzen Schwarzen lieber einen vorbereiteten Text in den Spracherkennungscomputer lesen. Den kennt die Software, da kann nichts schief gehen.
Und gerade will man an dieser Messe verzweifeln, da kommt eine kleine fröhliche Frau um die Ecke. Vom rechten Ohr her baumelt ihr ein kleines Mikro vorm Gesicht, an ihrem Gürtel hängt ein lexikongroßer grauer Plastikkasten, und am Arm trägt sie ein etwas klobiges, taschenbuchgroßes Display. Stolz präsentiert sie ihren automatischen Übersetzer – ein tragbarer Hochleistungs-PC von Xybernaut, die Spracherkennung von IBM und eine Übersetzungssoftware von Linguatec. „So kann bald jedermann auf der Welt miteinander reden.“ Wenn das keine Vision ist!
Okay, in den Details haperts noch. Zwar übersetzt die Maschine wunderbar den Firmenslogan: „dies ist der erste automatische Übersetzer von Linguatec“. Doch als die freundliche Frau auf Nachfrage ins Mikro spricht: „Der Kaffee ist fertig“, geht das Gerät in die Knie. Erst passiert gar nichts, dann zeigt das Display den vermeintlich erkannten Text an: „Er hat es das AOL“. Die Übersetzung kann man sich danach sparen. „Es gäbe hier zu viele Hintergrundgeräusche“, entschuldigt sich die Frau.
Man entschuldigt gern, denn ist das nicht der Gründergeist, von dem immer die Rede ist? Und tatsächlich, in Halle 19 trifft man noch mehr davon am Stand von Xybernaut. Dort rennt eine Frau mit einem tragbaren PC und einer Minikamera sowie einem Minidisplay am Kopf herum, welches die Computerdaten auf ein Brillenglas projiziert. Mit ihrem Gerät kann sie filmen und die Bilder live ins Internet übertragen: „Für den Internet-Nachbarschafts-Reporter der Zukunft.“ Auch eine Designerin ist am Stand, die den Computer samt Kabel in ein langes Sommerkleid integriert hat. Doch gleich neben dem kleinen Stand ist es wieder vorbei, da werden einem etwa sprachcodierte Wegfahrsperren im Ambiente eines Schlüsseldienstes vorgestellt.
Mit ein wenig Fantasie kann man sich eine Zukunft vorstellen: ein tragbarer Laptop, mit dem man von überall drahtlos ins Internet gelangt, Bücher aus der Bibliothek herunterladen und fernsehen kann. Und vielleicht enthält er auch einen elektronischen Dolmetscher, der uns endgültig zu Weltbürgern macht. Die Cebit-Besucher bleiben uninspiriert, immerhin nehmen sie Kataloge und bunte Luftballons mit nach Hause.
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