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Krankenhäuser: Fusion oder Infusion

Hamburger Kliniken werden immer weniger: Die Alternative Zusammenschließen oder zumachen, wird vom wirtschaftlichen Druck diktiert  ■ Von Sandra Wilsdorf

Während Menschen immer länger leben, sterben zur Zeit die Krankenhäuser immer schneller. Sie schließen sich zusammen, tauschen Patienten, Informationen, Stationen. Und wer nicht mitmacht, hat kaum eine Chance, sagen Krankehausreformer. Wirtschaftlicher Druck beendet manche Hamburger Krankenhausgeschichte, die 100 Jahre oder länger gedauert hat.

Daran sind verschiedene Faktoren schuld: Auf der einen Seite leben die Menschen immer länger. Es gibt also immer mehr ältere Menschen, also eigentlich mehr potentielle Patienten. Auf der anderen Seite aber geht die Heilung immer schneller. Dauerte vor 30 Jahren der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt noch 30 Tage, sind es heute nur noch zehn. „In fünf Jahren werden es nur noch sechs sein“, prognostiziert Heinz Lohmann, Vorstandssprecher des Landesbetriebes Krankenhaus (LBK). Schnell entlassen zu werden, freut den Kranken, schadet aber den Krankenhäusern, denn viele Betten stehen leer.

Ein zweiter Faktor sind die Krankenkassenbeiträge, mit denen medizinische Leistungen schließlich bezahlt werden. Die sinken, denn immer weniger Leute zahlen ein. Der Sparzwang wächst also in einem Bereich, in dem es auf den ersten Blick nichts zu sparen gibt, weil es um menschliche Gesundheit geht. Dritter Faktor ist ein neues Entgeltsystem, das ab 2003 gelten soll, aber schon heute für Aufruhr in den Krankenhäusern sorgt. Dann soll es Festpreise geben. Bisher kostet eine Blinddarmoperation in zwei verschiedenen Krankenhäusern ziemlich sicher unterschiedlich viel. Das hängt beispielsweise davon ab, ob es sich um ein Hochleistungskrankenhaus oder um ein Haus für die Regelversorgung handelt. Mit den Festpreisen aber entsteht ein ganz neuer Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern. „Das wird dramatische Folgen haben, die noch nicht absehbar sind“, vermutet Stefan Marks, Pressesprecher der Gesundheitsbehörde.

Die Krankenhäuser müssen sich jetzt auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten. Lohmann hat schon vor Jahren vorausgesagt, dass von den damals 43 Hamburger Krankenhäusern nur die 20 größten überleben würden. Denn die erbrächten schon jetzt 90 Prozent der medizinischen Leistungen.

Der LBK selber hatte einmal zehn Krankenhäuser, jetzt sind es noch acht und bald nur noch sieben. Das Hafenkrankenhaus wurde unter heftigem Protest geschlossen, die Allgemeinen Krankenhäuser Heidberg und Ochsenzoll haben sich zum Klinikum Nord zusammengeschlossen. Ende 1999 jubelte Gesundheitssenatorin Karin Roth über die erste Fusion eines kommunalen mit einem freigemeinnützigen Krankenhaus: In Bergedorf wird aus dem Evangelischen Krankenhaus Bethesda und dem Allgemeinen Krankenhaus ein Haus, das 2003 fertig sein soll. Die Frauenklinik Finkenau wird in das Allgemeine Krankenhaus Barmbek integriert. In Harburg verhandeln zur Zeit das Allgemeine Krankenhaus und das Krankenhaus Mariahilf miteinander. „Da geht es wohl nicht um Fusion, sondern um Kooperationen“, sagt Behördensprecher Marks.

Die Behörde wünscht sich, in Eimsbüttel aus vier Krankenhäusern eines zu machen. Aber da hakt es. Die Krankenhäuser Bethanien, Jerusalem, Elim und das Diakoniekrankenhaus Alteneichen verhandeln seit längerem darüber, sich zu einem „Diakonieklinikum Hamburg“ am Standort Alteneichen zusammenzuschließen. Dabei soll von jetzt 750 Betten auf dann 600 reduziert werden. Das Krankenhaus Elim weigert sich bisher standhaft: „Eimsbüttel hat insgesamt 240.000 Einwohner, allein im Kerngebiet leben 120.000 Menschen. Ein Standort Alteneichen aber läge in Stellingen, und das ist nicht das Kerngebiet von Eimsbüttel“, argumentiert Otto Bucholz, Geschäftsführer des Krankenhauses Elim. Weil jede Stadt mit 120.000 Einwohnern ein Krankenhaus habe, „schied für uns der Standort Alteneichen aus“. Elim hat nun ein eigenes Modell entwickelt: „Die Größenordnung von 600 Betten kann ja bleiben, aber an zwei Standorten.“ Elim könnte mit einem kleinen Anteil der geplanten Investitionen das Haus modernisieren, mit dem größeren Teil könnte in Alteneichen das Diakonieklinikum entstehen. „So würde man zwei Standorte zukunftsfähig machen“. Die Gesundheitsbehörde ist skeptisch: „Die Pläne von Elim und die der drei anderen Krankenhäuser sind nicht miteinander zu vereinbaren. Da gibt es noch Klärungsbedarf“, kommentiert BAGS-Sprecher Marks.

Trotz Lohmanns Einschätzung, dass es in zehn Jahren in Deutschland kaum noch einzelne Krankenhäuser geben wird, sondern sich fast alle zu größeren Unternehmen zusammengeschlossen haben werden, fürchtet Bucholz sich nicht: „Glücklicherweise entscheidet nicht Herr Lohmann, sondern die Patienten, in welches Krankenhaus sie gehen.“ Selbstverständlich stellten sich auch kleine und mittelgroße Häuser auf den Wettbewerb ein. „Wir haben beispielsweise eine einmalige Handchirugie.“

Karin Schwemin, Vorsitzende der AOK Hamburg, geht das alles noch viel zu langsam. „Die Situation der Hamburger Krankenhäuser könnte verbessert werden, aber das wird aufgrund der unterschiedlichen Interessen zögerlich behandelt“. Hochleistungskrankenhäuser vor der Haustür halte sie in einem Stadtstaat wie Hamburg „für unsinnig“. Idealerweise gäbe es in den Stadtteilen eine Regelversorgung für die leichteren Sachen und Schwerpunkte an verschiedenen Standorten. „Ich würde mir für ganz Hamburg ein bis zwei Herzzentren wünschen.“ Das mache die Sache auch für den Patienten transparenter. „Ich weiß nicht, ob das unbedingt preiswerter ist, aber unter Qualitätskriterien spricht vieles dafür.“ Wer in der Woche hundert Blinddärme herausnimmt, mache nun einmal weniger wahrscheinlich einen Fehler als jemand, der heute ein neues Hüftgelenk einsetzt und morgen wieder Blinddärme operiert. Überhaupt müssten sich Krankenhäuser spezialisieren: „Beispielsweise muss ich nicht in ein Universitäskrankenhaus, um mir die Krampfadern veröden zu lassen.“ Und: „Wir haben in Hamburg noch viele kleinere Häuser, die Probleme bekommen werden.“

Weil sie die nicht wollen, aber trotzdem selbstständig bleiben möchten, gehen viele Krankenhäuser Kooperationen ein: Das Allgemeine Krankenhaus St. Georg und das Universitätskrankenhaus Eppendorf wollen in der Herzchirugie zusammenarbeiten. Die Augenklinik des AK St. Georg geht nach Barmbek, die Abteilung für Hals-Nasen-Ohren geht den umgekehrten Weg.

Darüber hinaus rücken ambulante und stationäre Versorgung weiter zusammen. Das Albertinenkrankenhaus baut mit einer Kardiologie Praxisgemeinschaft ein Herzzentrum auf, das Amalie Sieveking Krankenhaus in Volksdorf plant ein Gesundheitszentrum Hamburg-Nordost. In einen Neubau auf dem Gelände des evangelischen Krankenhauses sollen sich auf 4500 Quadratmetern niedergelassene Ärzte, eine Dialyse-Praxis, Reha-Institute und andere Einrichtungen ansiedeln können. Im Süden Hamburgs hat sich ein Praxisnetz Süderelbe von 30 Ärzten verschiedener Disziplinen gegründet, die auch mit den Harburger Krankenhäusern zusammenarbeiten wollen. „Wir begrüßen es natürlich, wenn ambulante und stationäre Behandlung zusammenrücken und dadurch Untersuchungen nicht unnötig doppelt gemacht werden“, sagt Stefan Möllers, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung. Manchmal gibt es jedoch kein „Zusammen“ sondern nur ein „entweder, oder“: Die Hamburger Krebsgesellschaft sorgt sich um die Abteilungen für Strahlentherapie und für Hämatologie am AK St. Georg und hat deshalb an den LBK, sowie an Senatorin Roth geschrieben, sich dafür einzusetzen, die Stationen zu erhalten.

Im Fall der Strahlentherapie verlässt der Arzt das Krankenhaus, der die persönliche Ermächtigung für die Station hat. Bei der Strahlentherapie hat sich viel verändert. Weil die hohen Investitionen von 20 bis 30 Millionen Mark früher kein niedergelassener Arzt eingegangen ist, durfte das Krankenhaus die Patienten auch ambulant behandeln. Inzwischen gibt es in Hamburg Praxen, die Strahlentherapie anbieten, so dass die Rechtsgrundlage für eine ambulante Behandlung im Krankenhaus eigentlich fehlt. „Trotzdem macht es Sinn, wenn die Patienten dort weiterbehandelt werden können, wo sie vorher stationär betreut wurden“, sagt Heinz Lohmann. Und: „Die Frage der Strahlentherapie und auch die der Hämatologie wird sich bis Ende des Jahres entscheiden“. Denn für die Blutkranken soll es weniger Standorte geben. Welche, ist noch unklar.

In dieser Diskussion, die mit Begriffen wie Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb geführt wird, geht es eigentlich um Menschen. Menschen, die krank sind, und Menschen, die ihnen helfen, wieder gesund zu werden. Für die Kranken müssen große Krankenhäuser kein Nachteil sein, findet Kerstin Hagemann von der Patienteninitiative: „Ich würde beispielsweise mein Kind nie in einem Krankenhaus bekommen, in dem es keine Pädiatrie gibt oder in eine Belegklinik gehen, in der nachts nicht einmal ein Arzt ist.“ Treten Komplikationen auf, sei man in einem großen Haus oft besser aufgehoben. „Wir bekommen aus kleinen Häusern mehr Beschwerden als aus Großen.“ In den Kleineren sei es dafür häufig persönlicher. „Woran es allerdings bei diesen ganzen Fusionen mangelt, ist Transparenz.“ Kaum jemand wisse noch, wo die einzelnen Qualifikationen geblieben wären.

Mit den Krankenhäusern sterben auch Arbeitsplätze. Der LBK, größter Arbeitgeber Hamburgs, hat in den vergangenen Jahren 2400 Arbeitsplätze abgebaut, allerdings ohne betriebsbedingte Kündigungen. Der Hamburger ÖTV-Chef Wolfgang Rose schätzt, dass es sich bei den freigemeinnützigen noch einmal um eine ähnliche Dimension handelt: „Dabei hat beispielsweise das Krankenhaus Bethesda seinen gesamten Reinigungsdienst entlassen. Und auch in Rissen hat es Kündigungen gegeben.“ Den Arbeitsplatzabbau beobachte er mit Sorge, andererseits müssten kommunalen Krankenhäuser konkurrenzfähig sein, „denn sonst drängen Private auf den Markt, und die können schon deshalb billiger sein, weil sie sich nicht an Tarife halten“. Eigentlich gehe es doch um die Frage, wieviel einer Gesellschaft die Alten und Kranken wert seien. Und da solle sich mal jeder selber fragen, inwieweit er bereit wäre, höhere Krankekassenbeiträge zu bezahlen.

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