: Vom Millionengrab zur Goldgrube
... ist es noch ein weiter Weg für Leo Kirch. Damit sich sein Bezahlfernsehen endlich lohnt, wirbt er massiv um neue Abonnenten für Premiere World. Dabei schreckt er auch vor Fallstricken im Kleinstgedruckten nicht zurück – die Kunden gucken in die Röhre
von ARNO FRANK
Wir sitzen nicht in der ersten Reihe. Wir sitzen im Fond. Glatzköpfige Bodyguards mit Sonnenbrillen öffnen uns die Wagentür. Wir entsteigen der Limousine, hinein ins Blitzlichtgewitter, schreiten über den roten Teppich, vorbei an einem Spalier zigarrerauchender Frauen, Begehren im Blick und Diademe im Haar. Yeah, hier sind wir richtig, hier behandelt man uns wie Stars, hier sind wir bei keiner Premiere, wir sind hier bei Premiere World.
Mit dem allen Eitelkeiten schmeichelnden Trailer wird empfangen, wer sich im so genannten „Cinedom“ einen Film hat freischalten lassen. Für schlappe sechs Mark, den halben Preis einer Kinokarte.
Untotes Filmmaterial geistert durch alle Programme
Geschenkt, dachten sich weit über 300.000 Neukunden, die seit dem 1. Oktober 1999 einer veritablen Werbeoffensive erlegen sind: 300 Millionen Mark hat Kirch dafür ausgegeben. Ein mageres Sümmchen, verglichen mit den 1,8 Milliarden Mark, die Kirch bis 2002 in Premiere World zu stecken beabsichtigt – ganz zu schweigen von den wieder 1,7 Milliarden, die bereits auf Nimmerwiedersehen allein im Vorgängerprojekt DF1 versickert sind. Für geraume Zeit also wird Kirch – Murdoch hin, Scheich her – mit der Tilgung alter Schulden beschäftigt sein: Das Grab, das er sich mit seinen bisherigen Pay-TV-Bemühungen geschaufelt hat, soll endlich in eine Goldgrube verwandeln werden, darinnen vorwiegend untotes Filmmaterial modert. Die deutsche Lizenz für den Klassiker „La Strada“ etwa, der jetzt wieder im Kanal Star Kino ausgestrahlt wird, gehört Kirch seit bald einem halben Jahrhundert.
Immerhin scheint das vergangene Weihnachtsgeschäft ein gelungener Stapellauf gewesen zu sein – und ein Lehrstück in Sachen kommerziell kalkulierter Programmplanung: In der heißen Phase um Weihnachten und Silvester lief im Cinedom von „Godzilla“ bis „Titanic“ alles, was groß und schwer und teuer ist. Inzwischen ist Februar, da tut’s auch Unterirdisches wie Til Schweigers „Der Eisbär“, ein geflopptes Remake von „Psycho“ oder „Waterboy – der Typ mit dem Wasserschaden“.
Von einem Wasserschaden sprechen gereizt auch jene Anbieter, die Kirch an seiner digitalen Welt teilhaben lässt und teilweise noch zu Zeiten von DF1 ins Boot geholt hatte. Formal, um die Pluralität seines Angebots und die Zugangsfreiheit zur d-box-kontrollierten digitalen Welt zu demonstrieren – aber selbstverständlich auch, um die Anlaufverluste der Kirch-Gruppe mit zu tragen.
Und so fühlen sich der Discovery Channel, 13th Street/Studio Universal oder der Anbieter Multithématiques zunehmend als drittes Rad am Wagen. Anstatt mit werbewirksamem Hinweis auf seine Partner das komplette Angebot zu vermarkten, warb Kirch massiv und fast ausschließlich für den eigenen Bauchladen – und ließ den Gästen auf seiner Plattform eine eher stiefmütterliche Behandlung angedeihen.
An Weihnachten wurde geklotzt, jetzt wird gekleckert
Mit Wucht und ZDF-Hitparadenkasper Uwe Hübner dagegen wird für die Expansion der „Welten“ getrommelt: Zu den Programmpaketen Family World, Sports World und Movie World gesellt sich seit Anfang März die niegelnagelneue Gala World – eine Reihe sattsam bekannter Komponenten (Heimatkanal, Filmpalast) und GoldStar TV als Zugpferd. Dort lassen Sendungen wie „bei Hübner“, „SchlagerBox“, „Hitcocktail“, „Goldies“ oder „Erfrischend deutsch“ erahnen, welche Zielgruppe jetzt ins Visier des geschäftsführenden Vorsitzenden Markus Tellenbach gerückt ist, nämlich ein „Zielgruppensegment, das bisher kaum berücksichtigt wird“ – vor allem ältere Zuschauer sollen mit dem Dauermusikantenstadl vor die Glotze gelockt werden. Wie diese Menschen das Kleinstgedruckte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen begreifen sollen, ist Tellenbachs Geheimnis.
Denn das Großmütterchen muss erst noch geboren werden, dem es mühelos von der Hand geht, „nach Beendigung des Vertrages gem. Ziff. 6 (...) auf eigene Kosten die d-box abzubauen und innerhalb von zwei Wochen zusammen mit der d-box-Karte, dem Anschlusskabel und der Fernbedienung an PREMIERE WORLD zurückzuschicken“. Geschieht das nicht, so tritt Ziff. 6 in Kraft, dann „verlängert sich das Abonnement automatisch um 12 Monate im Superpaket Movie + Family + Sport – zuzüglich der d-box-Miete“, womit wir auf mindestens 70 Mark monatlicher Fernsehkosten kämen.
Zum „Basispaket“ nämlich, für das mit dem Gegenwert einer Roland-Kaiser-CD geworben wird (34,90 Mark), addieren sich 150 Mark Kaution für die d-box, 29,90 für die Freischaltung und schließlich eine monatliche d-box-Miete von 14,90 Mark. Wer zusätzlich zu zahlende „Highlights“ ordert (Pay-Per-View), dem könnten zusätzlich zu den sechs Mark „Eintrittsgeld“ noch Bestellgebühren blühen –sorgsam eingebettet in die Geschäftsbedingungen wartet hier gleichsam eine verborgene „Cash World“ auf Erschließung. Da wundert sich der Laie, der Fachhandel wedelt hilflos mit bunten Broschüren und verweist auf das Call-Center, das sprichwörtlich besetzte. Was also Tellenbach als „transparente Preispolitk“ bezeichnet, heißt andernorts schlicht Bauernfängerei und wird – auf Anfrage der taz – gegenwärtig vom Verbraucherschutz geprüft.
Womöglich braucht aber gerade solche Sitten, wer sich endgültig zum Global Player aufschwingen möchte. Die Inhalte dafür hätte Kirch, doch gebricht es ihm noch an Zuschauern.
Insgesamt 2,2 Millionen Kunden zählt Premiere World, 900.000 davon nutzen noch das analoge Pay-TV-Angebot. Bis Ende 2001 sollen noch einmal anderthalb Millionen Abonnenten gewonnen werden, und zwar mit Ereignissen wie der Champions League oder den Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006.
Logisch auch, dass er sich mit dem größten Kabelnetzbetreiber Europas auf der Ebene technischer Entwicklungen alliiert. Die Deutsche Telekom investiert etwa eine Milliarde Mark in Kirchs Entwicklungsfirma BetaResearch. Im Gegenzug würden dem Filmkrämer rund achtzehn Millionen Kabelhaushalte offen stehen – doch hier sind einstweilig die Wettbewerbshüter vom Bundeskartellamt vor, die bereits Bedenken gegen die Hochzeit von Netz und Inhalt angemeldet haben.
Sex, Schlager und Sport sollen neue Kunden locken
Sollte Kirch also die gegenwärtige Talsohle durchschreiten, so ist auf dem Weg zur medialen Hegemonie über ganz Europa nur noch eine Hürde zu nehmen: Eine paneuropäische Norm für digitales Fernsehen, genannt „Multimedia Home Plattform“ (MHP) – die ist in Arbeit und soll den schnöden Decoder zum Schlüssel für Internet und elektronischen Kommerz adeln.
Auch hier aber setzte Kirch bereits zum Sprung an und orderte beim französischen Hersteller Sagem 600.000 Decoder, die mit dem europäischen Standard kompatibel sein sollen.
Natürlich. Sonst könnte Leo Kirch nämlich die WM 2006 ganz allein vor dem Fernseher verbringen, als letzter Besitzer seiner veralteten d-box. Weil er schlecht sieht, wird er den Ton ein bisschen aufdrehen. Und der einzige Mensch auf der Welt sein, der sich das Endspiel anschauen darf. Die Rechte dazu hätte er.
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