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Nachtschicht in Pattaya

Etwas Charme im Straßenchaos: Als Moped-Taxifahrerin ist die Thailänderin Saiping in einetypische Männerdomäne eingebrochen. Ein Beruf mit Risiken mit oder ohne Führerschein

von VOLKER KLINKMÜLLER

Wer fährt schon gern mit dem Motorrad-Taxi durch die quirlige Urlauber-Metropole Pattaya? Moped-Fahrer haben kein gutes Image, sind oft unfreundlich, fordern gern überhöhte Preise und rasen zuweilen unverantwortlich über die Straßen des thailändischen Küstenorts. Wer jedoch auf dem Sozius von Saiping Jaiarsar Platz nimmt, wird sicher durch den chaotischen, mitunter gefährlichen Straßenverkehr des berühmt-berüchtigten Badeorts gesteuert. Die 27-jährige Moped-Taxifahrerin ist eine von ganz wenigen Frauen, die in diese typische Männerdomäne eingedrungen sind. Während sich abends überall die käuflichen Schönheiten der Stadt schminken und in Schale werfen, um sich auf Kundenfang im Rotlicht-Mileu vorzubereiten, pflegt Saiping einfach nur ihre nummerierte Weste überzuziehen und sich auf ihr Motorrad zu schwingen. An ihrer Berufskleidung mit der „Golden Gym“-Werbung ist sie von weitem schon als Taxifahrerin zu erkennen. Am liebsten fährt die Mutter von drei Kindern Nachtschicht, obwohl das nicht ganz ungefährlich ist!

Als jüngstes von sechs Geschwistern – die Mutter war schon früh gestorben, der Vater erlag vor kurzem einem Krebsleiden – kam Saiping vor elf Jahren aus der Provinz Prachinburi nach Pattaya. Denn schließlich hatten in dieser Stadt, deren Einwohner zu rund 80 Prozent aus dem armen Nordosten Thailands stammen, bereits einige Familienmitglieder Fuß gefasst.

Noch heute handelt einer ihrer Brüder in einem Tempel mit Buddha-Amuletten, während ein anderer eine Werkstatt für Glas- und Aluminium betreibt und die Schwester auf dem Markt Obst verkauft. Saiping bekam eine Stelle im Hotel und arbeitete dort zwei Jahre lang als Zimmermädchen. „Da ich aber nur über sechs Jahre Schulbildung und somit keinerlei Aufstiegsmöglichkeiten verfügte, entschied ich mich dafür, eine Familie zu gründen“, erzählt sie. Heute ist ihr Sohn Thong neun, die Tochter Samyah sechs und der Sohn Pet drei Jahre alt.

Weil ihre Kinder bei der muslimischen Familie ihres Ehemannes aufwachsen, hat Saiping überhaupt erst Gelegenheit, ihrem ungewöhnlichen Beruf nachzugehen. Den Einstieg dazu fand sie über ihren Mann, der ebenfalls Moped-Taxi fährt. Mittlerweile sind es schon vier Jahre, die Saiping als Taxifahrerin arbeitet.

Zur Zeit ist sie am Marine Plaza Hotel postiert, wo sie sich die Fahrgäste mit insgesamt 18 männlichen Kollegen teilen muss. Diesen Stand am Rand des „Strips“ von Süd-Pattaya gibt es schon seit über zehn Jahren. Obwohl es hier besonders oft Ärger mit aggressiven arabischen Fahrgästen gibt, ist er unter den Moped-Taxifahrern so begehrt, dass für eine Lizenznummer an diesem Ort fast 30.000 Baht (rund 1.600 Mark) auf den Tisch gelegt werden müssen! „Ich fahre nur nachts, weil es mir am Tag zu heiß ist“, erklärt sie ihre ungewöhnliche Lust auf Nachtschicht. Saiping weiß, dass ihre Arbeit für eine Frau in der Nacht große Risiken bergen kann. Deshalb vermeidet sie es, Fahrgäste zu befördern, die in abgelegene Gegenden gebracht werden möchten. „Diese Art von Kunden schicke ich dann einfach an meinen männlichen Kollegen weiter, der nach mir an der Reihe ist.“ Bisher hat sie noch nie Schwierigkeiten gehabt – es sei denn mit Barmädchen, die ihre Hauptkundschaft darstellen. „Manche sind ziemlich arrogant und mustern mich erst einmal von Kopf bis Fuß. Andere wiederum“, so erzählt Saiping, „sind betrunken und beschweren sich, dass ich zu langsam fahren würde.“

Vor zwei Jahren hatte sie einen schweren Unfall: An einer unübersichtlichen Straßenkreuzung sei plötzlich ein Pick-up herausgeschossen und hätte sie über den Haufen gefahren. Damals war sie mit Muskel- und Sehnenriss, Prellungen und Schürfwunden ins Krankenhaus gekommen, konnte anschließend zwei Monate nicht mehr laufen. Immerhin hätte der Unfallverursacher die Behandlungskosten von 70.000 Baht übernommen, zudem noch 10.000 Baht Verdienstausfall bezahlt. Ihre männlichen Kollegen hätten noch häufiger Unfälle, nicht gerade wenige seien dabei schon ums Leben gekommen. „Die rasen oft wie die Verrückten. Zudem käme es immer wieder vor, dass die Fahrer der rund 800 blauen Pick-up-Taxis den Moped-Taxis als lästige Konkurrenz betrachten und ihnen einfach den Weg abschneiden, um an einen wartenden Fahrgast am Straßenrand zu gelangen.“

Saipings Arbeitszeit beginnt zumeist um sieben Uhr abends und dauert bis drei oder vier Uhr morgens. „Mein Schichtverdienst liegt zwischen 300 und 400 Baht. Im Monat komme ich so insgesamt auf rund 10.000 Baht, von denen ich aber noch eine ganze Menge Abzüge habe“, rechnet Saiping vor. Von ihrem Umsatz muss sie jeden Monat 2.000 Baht Miete für ihre Lizenz-Nummer, 600 Baht Grundgebühr an den Taxistand abgeben, und auch das Hotel, vor dem sie stationiert ist, fordert einen Tribut von 1.400 Baht. Außerdem sind da in den nächsten sieben Monaten noch die restlichen Abzahlungsraten für ihr Motorrad, die jeweils mit 2.100 Baht zu Buche schlagen. Trinkgelder seien in ihrem Job eher selten.

Mit Ausländern hat die flotte Motorrad-Taxifahrerin bisher noch keine unangenehmen Erfahrungen gemacht. Obwohl sie mit den Geflogenheiten des Touristenorts Pattaya durch ihre täglichen Beobachtungen in der Öffentlichkeit bestens vertraut ist, hat sie ihre ganz eigenen Regeln im Umgang mit Farangs (westlichen Ausländern). So verlangt sie von ihnen zum Beispiel prinzipiell den gleichen Fahrpreis wie von ihren Landsleuten. Und was tut sie, wenn ein 110 Kilogramm schwerer, möglicherweise sogar betrunkener Ausländer mit ihr fahren will? „Das kommt natürlich nicht in Frage. Denn schließlich habe ich das Recht, mir meine Kunden selbst auszuwählen“, betont Saiping.

Auf mögliche Komplimente ihrer männlichen Fahrgäste legt Saiping keinen Wert, jeder Annäherungsversuch wird strikt zurückgewiesen. Zwar gibt es in Pattaya und ganz Thailand nicht gerade wenige Frauen in ihrem Alter, die es durch den Verkauf ihres Körpers bereits zu beachtlichem Reichtum – in Form von eigenen Häusern, Apartments, Fahrzeugen oder Bankkonten und Schmuck – gebracht haben. „Aber ich bin ja schließlich nicht so verzweifelt oder geldgierig wie diejenigen, die sich für das Bar-Milieu entschieden haben“, beteuert die Moped-Taxifahrerin.

Mit ihrem Job ist Saiping insgesamt ganz zufrieden, weil sie dabei ihr eigener Chef sein kann. Trotzdem würde sie sich gern weiterbilden oder wenn sie eines Tages die Chance – also genug Geld – dazu hätte, einen eigenen kleinen Lebensmittelladen aufmachen. Bis es soweit ist, wird Saiping in ihrer gesponserten „Golden Gym“-Weste weiterhin irgendwelche Kunden durch die Gegend chauffieren. Die Weste schützt dabei nicht nur gegen den kühlen Fahrtwind. Westen-tragende Moped-Taxifahrer werden von der Polizei nur relativ selten angehalten oder nach irgendwelchen Papieren gefragt. Für Saiping ist das natürlich außerordentlich praktisch – denn sie besitzt keinen Führerschein. „Dafür haben mir irgendwie ein paar Dokumente gefehlt“, meint sie lächelnd.

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