: Umhäkeltes Frauenwunder
Endlich widmet sich eine Ausstellung im naturkundlichen Museum von Syke einer der wichtigsten Kulturerrungenschaften der menschlichen Zivilisation – dem Topflappen
Die Geschichte des Topflappens nach 1945 ist nicht frei von Tragik. Unmittelbar nach dem Krieg, das Land lag in hässlich grauen Trümmern, häkelte sich die unverwüstliche deutsche Hausfrau ein wenig viereckige Farbe ins noch triste Heim.
Schon bald gehörte das selbst fabrizierte Topflappenpärchen überm Herd ebenso selbstverständlich zum prosperierenden Hausstand wie Sektschalen, Phonotruhen und die Pille. In den frühen 70ern, als selbst zugekiffte Hippies sich auf breiter Front in eine friedlichere Welt handarbeiteten, kannte der Häkelwahn keine Grenzen: Klorollen, Eier und Frauen wurden hemmungslos in der bevorzugten Farbkombination Bremsspurbraun-Knatschorange umhäkelt. Handmade war in.
Die ins Großmutteralter gekommene Trümmerfrauengeneration erlebte einen zweiten Frühling und versorgte ungefragt die gesamte Bagage und jeden, der nicht schnell genug „Neeeiin!“ rufen konnte, mit Topflappen in den abenteuerlichen Farbzusammenstellungen Schweinchenrosa-Hellblau, Hellgrün-Dunkellila, gern noch überflügelt durch allerliebst gezimmerte Rosenapplikationen.
Im hereinbrechenden IKEA-Zeitalter aber war für jene Oma-Lappen plötzlich kein Platz mehr in der Küche „Modell Björn“. An ihre Stelle trat der allenfalls noch selbst gekaufte Backofenhandschuh mit Tiermotiv, während das inzwischen verschmähte selbst gemachte Häkelwerk verschämt in die Plastiktüte wanderte und auf dem Dachboden vor sich hingammelte – bis zum nächsten Flohmarkttermin.
Genau dort ist Elke Prieß fündig geworden. Jahrelang hat die Bremer Künstlerin Topflappen gekauft, die niemand mehr haben wollte, und hat nun 250 Paare aus ihrer umfangreichen Sammlung im Kreismuseum Syke zu der Ausstellung „Topflappen – kleine gehäkelte Wunder“ vereint.
Niemand verlässt diese Leistungsschau bundesdeutscher Hausfrauengenerationen im Herzen unberührt. Topflappen in entzückenden Trachtenkleidchenformat baumeln dort von der Wand, das klassische gestreifte Karo-Lappenpärchen trifft auf Exponate mit penibel gearbeitetem Mausezähnchenrand, Plastik-Puppengesichter fanden ihren umhäkelten Weg zum Topflappengesamtkunstwerk. Allerlei Getier sowie üppig wallende Blumenimitationen aus diversen Nachkriegsjahrzehnten runden das überwältigende Bild ab.
Dass der zumeist weibliche Mensch so viel handarbeitliches Geschick investiert, um einen sträflich kitschigen Alltagsgegenstand herzustellen, der bloß die zarten Finger vor Brandblasen schützen soll, fasziniert die Sammlerin Prieß ungemein.
So konservativ die Topflappengemeinde an den tradierten Mustern festhält, so aufgeschlossen zeigt sie sich gegenüber den neuen Informationstechnologien. Im Internet, erzählt Prieß, findet sich eine große Auswahl von Mustern vor allem aus den USA zum kostenlosen Herunterladen. Und über die 120-jährige Geschichte des Topflappens, die ihren Ursprung im Netzeknüpfen hat und in der Hierarchie der Handarbeiten als bloße Volkskunst nie hoch gehandelt wurde, informiert die Syker Ausstellung in üppig bestückten Schaukästen. Wer es nicht schon wusste, muss sich im Angesicht von 250 Topflappenpärchen ohne Wenn und Aber eingestehen: Männer sind Versager. Sechs Herren zwischen elf und 56 Jahren hatte Prieß im Vorfeld der Ausstellung gebeten, zwei Knäuel rotes und weißes Topflappengarn in vorzeigbare Ausstellungsobjekte zu verwandeln. Hüllen wir das Schweigen des Mäntelchens über jene grässlichen, den Titel „Topflappen“ zu tragen nicht würdigen Schlaufenansammlungen, die Prieß zur Schande der männlichen Geschlechts an die Wand des Syker Kreismuseums hängen musste. Ganz anders die ebenfalls aufgeforderten sechs Damen: Jede Schlaufe ist akkurat, die Ränder sind kerzengerade, und die Bandbreite der gehäkelten Motive reicht von fantastischen Teekannen bis zu entzückenden Kräuterbeuteln mit eingearbeiteter Knopfleiste. Hätte man diese Damen gebeten, anstelle von Topflappen eine Liste mit den vollständigen Namen der Kohlschen Spender oder einen Friedensvertrag für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu häkeln – allenfalls vier Stunden hätte es gedauert und das Gewünschte hätte apart auf dem Tisch gelegen. Frauen sind einfach kleine häkelnde Wunder.FRANCO ZOTTA
Die Ausstellung „Topflappen – kleine gehäkelte Wunder“ ist bis zum 26. März im Kreismuseum Syke zu sehen (Herrlichkeit 65, 28857 Syke, Tel: 0 42 42 / 25 27). Programm zur Ausstellung: „Häkeln einmal anders“-Workshops am 14., 15. und 19. März sowie „Von der Tradition zur Moderne – Häkelseminar für Erwachsene“ am 17. März. Eine Anmeldung ist dringend erforderlich!
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