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Wie rede ich mich aus der Krise?

Alles hat ein Ende, nun auch der Spendenskandal – sagt die CDU. Geklärt ist dabei nichts, klar nur eines: Die Konservativen haben sich herausgeschwafelt

von CHRISTIAN SEMLER

Was tun, wenn „die da oben“ nicht mehr können, „die da unten“ nicht mehr wollen, wenn finanzieller Ruin droht und der definitive Sumpf? Nach Lenin wäre das die revolutionäre Situation, aber für die CDU gab es einen sicheren Weg, alles so zu verändern, damit es bleibt, wie es ist: Sie hat sich entschlossen dem Kampf um die Begriffe zugewandt. Es galt, in der Konten- & Kofferaffäre die Interpretationshoheit zu erringen. Früher wurde das semantische Schlachtfeld von der Linken beherrscht. Sie drückte der Gesellschaft ihre Begriffe auf. Noch im Kampf gegen die Nutzung der Atomenergie obsiegte „ AKW“ gegenüber dem von der Atomlobby favorisierten „KKW“. Jetzt aber ist es den Christdemokraten gelungen, binnen weniger Wochen ein solides Begriffsgebäude hochzuziehen, in dem die Schwankenden und Verzagten sich mit Leichtigkeit zurechtfinden können.

1 Der Fehler ist das Kind des Irrtums, er entspringt einer falschen Einschätzung von Sachverhalten. Er ist sogar unvermeidlich, ist notwendiger Bestandteil des Erkenntnisprozesses, wie schon die Formel „trial and error“ nahe legt. Moralisch gesehen müssen Fehler verziehen werden, denn welcher Mensch könnte von sich behaupten, gänzlich fehlerlos zu sein? Und nur ein ausgemachter Zyniker könnte angesichts der Eingeständnisse der CDU-Oberen ausrufen: „Mein Herr, was sie taten, war schlimmer als ein Verbrechen – es war ein Fehler!“ Unsere Sprache grenzt den Fehler eindeutig ab von der Verfehlung. Nur dieses Präfix „Ver“ könnte den Fehlern Schäubles und Kochs ihre Unschuld nehmen. Aber deren Fehler bleiben präfixunbesudelt, und sie bleiben objektiv. Schließlich und am wichtigsten: Es gibt keinen Fehler, der nicht reparierbar wäre. Solches geschieht am besten durch den Fehler-Verursacher.

2 Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste. Sie einzugestehen, wie Hessens Koch es mutig tat, zeugt gerade nicht von Blödheit, sondern von Intelligenz – und von Freimut wie Selbstkritik. Dabei kommt es drauf an, stets die eine Dummheit im Auge zu behalten, diese lässliche momentane Geistesschwäche, die dem Black-out so sehr verwandt ist. Und nicht in die generelle Selbstbezichtigungen hinsichtlich des eigenen Scharfsinns zu verfallen. So gesehen ist „eine Dummheit“ ebenso unvermeidlich wie „ein Fehler“. Was sich auch umgangssprachlich in der Redewendung „dumm gelaufen“ ausdrückt.

3 Die Aufklärung hat den CDU-Oberen große Begriffsverdienste eingebracht, indem sie nicht nur „rückhaltlose“ Aufklärung versprachen, sondern brutale, in den Worten des Begriffsschöpfers Koch sogar die „brutalstmögliche“. Aufklärung soll schmerzen, und es war die CDU selbst, die sich diesen Schmerz zufügte, zur Freude des Publikums. Und Aufklärung ist emanzipatorisch, sie bezeichnet den Aufbruch aus der Unmündigkeit, in der der Patriarch Kohl die Christdemokraten gefangen hielt. Aber da die CDU sich zur reflexiven Moderne zählt, erkennt sie auch die Grenzen der Aufklärung. Sie beginnen dort, wo sich jenseits von Fehler und Dummheit das weite Feld der Interessen öffnet. Zu fragen, ob durch die Spenden der Industrie nicht ein bestimmtes politisches Verhalten ermuntert werden sollte, ist nichts als Verdachtspsychologie, entspringt der Verschwörungsmentalität, führt schnurgerade in Wahngebilde und verfällt somit dem Verdikt der Antiaufklärung.

4 Die Prüfung ist ein Instrument der Aufklärung. Geprüft wird am besten durch angestellte Wirtschaftsprüfer, die diesen Namen schließlich nicht umsonst tragen. Die CDU prüft sich selbst, aber dieser Vorgang muss streng unterschieden werden von der Selbstprüfung. Vor dem Resultat der jeweiligen Prüfung wäre es unsinnig, eine Stellungnahme zum dem in Frage stehenden Sachverhalt einzufordern, wie Angela Merkel wiederholt betonte. Schließlich geht es nicht um verschwommene Eingeständnisse, sondern um harte Zahlen und Daten. Und was der Prüfung entging, kann schließlich einer erneuten Prüfung unterzogen werden.

5 Die Basis befragen. Für das „System Kohl“ trägt ein Einziger die Verantwortung, während die hunderttausenden engagierten Parteimitglieder nur getäuscht und ihr Vertrauen missbraucht wurde. In der Krise liegt die Chance, weshalb es galt, die innerparteiliche Demokratie zu aktivieren und „in die Basis“ zu horchen. Nur so kann „Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden“. Hierfür ist Angela Merkel zuständig, der „Angelus Novus“ der Partei.

6 Das Ehrenwort darf nicht gegeben werden, um rechtswidrige Vorgänge im Dunkeln zu lassen. Denn: die CDU ist die Partei des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit. Auf dem Ehrenwort zu insistieren, ist vorkonstitutionell, damit vordemokratisch. Anders die eidesstattliche Erklärung, die sich als Beweismittel im Rahmen des Zivilprozesses darstellt. Dass mitunter ein Eid gegen den anderen steht, zeugt nur vom rechtsstaatlichen Bewusstsein der CDU-Führung.

6 Vor der eigenen Tür fegen. Nichts wäre der Aufklärung schädlicher als der Hinweis, die anderen treiben es genauso schlimm. Deshalb muss jeder diesbezügliche Angriff mit der Einleitung erfolgen, er diene nicht der eigenen Entlastung. Diese Haltung erscheint als umso großmütiger, als die eigenen „Fehler“ personenbezogen und damit akzidenziell sind, während sie sich bei der SPD als Ausdruck des „NRW-Filzes“ darstellen, mithin strukturelle Ursachen haben. Vor der aufklärenden Gegenkritik der CDU hatte deshalb auch Wolfgang Clements kritischer Beitrag zur politischen Begriffsbildung, die vielgerühmte „Luftnummer“ des politischen Gegners in Sachen Flugbereitschaft, keinen Bestand. Eigentlich schade, denn der Begriff verweist in die Luftakrobatik, während für NRW eher das Bodenturnen auf schlammigem Untergrund charakteristisch ist.

7 Den Wählerauftrag erfüllen. Trotz unterlaufener Fehler darf sich die CDU nicht um ihren verfassungsmäßigen Auftrag drücken. Vor allem Hessens Ministerpräsident muss zwecks Erfüllung des Wählerauftrags im Amt bleiben. Dieser Auftrag gilt vier Jahre, so steht es in der Verfassung. Der Volkssouverän wollte, dass die CDU regiert. Jetzt davon zu sprechen, der Wahlausgang sei durch massive illegale Geldzufuhr beeinflusst worden, heißt nichts anderes, als diesen Souverän als manipulierbar, als unmündig hinzustellen. Das aber ist undemokratisch. Den Wählerauftrag erfüllen, heißt „zu den Sachthemen zurückkehren“, eine klare Alternative zur verpfuschten Berliner Regierungspolitik zu verkörpern. Mit der Erfüllung des Wählerauftrags ist es gänzlich unvereinbar, die CDU durch Geldstrafen so zu schwächen, dass sie ihrer verfassungsmäßigen Stellung nach dem Grundgesetz nicht mehr gerecht werden kann. Denn der Wählerauftrag erfordert, die Gleichheit vor dem Gesetz im Licht des verfassungsmäßigen Parteienprivilegs zu interpretieren.

8 Tätige Reue üben. Wer Fehler machte, tat dies in bester Absicht. Da in Fragen der Moral stets die Absichten zählen und nicht die Resultate, ist also bei der CDU die Anregung einiger Grüner, doch etwas Reue zu zeigen, vollständig unangebracht. Anders verhält es sich mit der „tätigen Reue“ des Exbundeskanzlers, bewiesen durch seinen jüngsten Spendenfischzug zugunsten der Partei und der Ankündigung, für seine CDU das Eigenheim in Oggersheim zu verpfänden. Stolz outeten sich gestern Uschi Glas und Berti Vogts als Unterstützer des reuigen Sünders. Hier sehen wir eine ingeniöse Weiterentwicklung von Rechtsbegriffen, denn „tätige Reue“ im Strafrecht setzt voraus, dass der durch die Straftat eingetretene Schaden vor Entdeckung wiedergutgemacht wird. Vor „Wiedergutmachung“ in diesem Zusammenhang sind die Begriffsarchitekten der CDU allerdings bislang zurückgeschreckt. Das ist ein genuiner Beitrag der Presse – natürlich mit ironischem Unterton zu verwenden.

Dieser Rundgang durch das neue Begriffsgebäude der CDU kann nicht enden ohne den Hinweis darauf, dass es nicht CDU heißen muss, sondern „CDU Deutschlands“. Denn die CDU ist nicht nur Fleisch vom Fleisch unseres Vaterlandes. Sie war, ist und bleibt dessen eigentlich legitime Verkörperung.

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