: Ich hatte große Lust zu weinen
■ Erinnerungsabend für den Wiener Konrad Bayer im Brauhauskeller
Kennen Sie Big Brother, die neue Containershow im Fernsehen? Wäre es nicht schön, würden die TeilnehmerInnen von „Mobbing leicht gemacht: ein Grundkurs in 100 Tagen“ einander an den Schultern fassend und polonaisierend mit folgenden Worten durchs Eisenheim marschieren: Ich bin ein wirkliches Kind, jaja, ein wirkliches Kind? Aber zu soviel Selbstironie sind diese Waschbretthirne wohl kaum in der Lage. Wäre der Wiener Dichter Konrad Bayer nicht bereits 1964 gestorben, er hätte bestimmt gemerkt, wie hier spakapitalistische Trivialität zu sich selbst kommt. Und er hätte vielleicht ein lustiges Gedicht verfasst dazu.
Oder sich gleich umgebracht. Kulturschock! Exitus! Eigentlich alles ein alter Hut. Den nimmt Schauspieler Robert Tillian irgendwann vom Haken an der bröckelig weißen Brauhauskellerwand. Ein paar Blätter fallen zu Boden. Er betrachtet den Hut, streicht ihn glatt und sagt: „Wer Konrad Bayer verstehen möchte, muss die Österreicher kennen lernen.“ Die seien bekanntlich seit neuestem mal wieder ein sehr alter Hut. Dann spielt Pianist Dietmar Loeffler einen Hardcore-Landler, zu dem sich Tillian mit Bayers Worten „riegel mir den hals“ stilecht bekreuzigt.
Tillian, der sich beständig in Richtung Ensemblemitte spielt, zuletzt als unfreiwillig zugekokster Polizist in Schipenkos „Suzuki“, spielt Bayer, singt seine Texte und erzählt von ihm. Mal in eigenen Worten, mal in des Dichters eigenen oder auch mit einem Gedicht des „wiener Gruppe“-Kollegen H.C. Artmann. Dessen „hunger dieses menschen...“, das Tillian am Tresen beginnt, weintrinkend, und dann durchs Publikum laufend durchrezitiert, kommt immer wieder auf einen Satz zurück, der das Leben und Werk des Konrad Bayer wohl nicht schlecht trifft: „er starb wie er gelebt hatte“. Es war einer, der an den Verhältnissen litt – ganz gewiss zurecht –, der ihnen nichts entgegenzusetzen hatte als ein Leben und bitterbösen Witz. Was eigentlich alles andere ist als eben 'nichts'. Ein Sprachskeptiker vor dem Herrn, ein gottloser Kleinschreiber, ein Wortpolitiker mit ausgeprägtem Hang zu 'splatting images'. Irgendwo zwischen Serners Dadaismen und Poe.
Eine Reihe Komponisten mit Theatererfahrung, darunter Stockhausenschüler Kurt Schwertsik, haben sich des oft sarkastischen, stets aber poetisch-fantasievollen Ouvres angenommen. Ein gutes Dutzend Uraufführungen an einem Abend, wann hat man das schon? Souverän gleitet Loeffler am Klavier durch die Partituren. Stimmungen wechseln ständig. Von jazzigen Akkordfolgen über die gute alte Brettl-Tradition bis zu minimalistischen Stakkati. Die Stimme ist brüchig, zurückhaltend; Töne entstehen irgendwo zwischen Singen und Sprechen. Beim fiktiven, aber nicht weniger süßlichen Operrettenklassiker „schöne welt“ greift Tillian zur völlig verstimmten Geige, kratzt darauf herum. Das ist eine der vielen Brechungen, die das Programm vorantreiben. Und tatsächlich hält sich eine Pappnase im Publikum die Ohren zu. „herr je und we du liebe zeit.“
Der Abend inszeniert die Betrachtung Bayers aus diversen Blickwinkeln. Schön die „romanze“, die eher an einen Bewerbungsbogen erinnert. Oder Sätze wie „glaubst i bin bleed, das i siech wie du ausschaust.“ Auf dem Umweg über Gerhard Rühms Couplet vom Mann, der seine Freundin umbringt, Begründung: „liebling, du hast mich heute ausgelacht“, zieht sich die schrullige Bayer-Figur zurück an den Ort, wo alles Gespräch nur Selbstgespräch ist. „wohin gehst du? – spazieren. – Du bleibst hier! – (...) jetzt werde auch ich heftig – (...) dann gehe ich wortlos aus dem zimmer.“
Auf Treppen aus Stein steht ein „engel aus eis“. Fantasie und Alltag vermischen sich, wie es vielleicht nur in Wien geht. Die Aktionen und „literarischen cabarets“ der 'wiener gruppe' bilden eine Art Gegenpol zur Bernhard'schen Misanthropie. Gegen Ende legt Loeffler eine Zeitung auf's Klavier, tippt auf einen Artikel. Tillian 'liest': „die unruhen sind beendet“. Von altgewordenen Aktivisten, (wieder) fleißigen Studenten und ausgewiesenen Ausländern. Kein bisschen angestaubt, diese Texte. Viel zu Lachen hat er scheint's nicht gehabt, der Herr Poet. Gelacht hat er trotzdem. Vor allem, um die stets lauernde Resignation zu bändigen. Den beiden auf der Bühne gebührt freundlicher Applaus. Und vielen Dank für die Erinnerung an dieses unwirkliche Kind. Tim Schomacker
Weitere Aufführungen: 18. März, sowie 8.,14.und 29. April. Karten unter Tel.: 3653-333.
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