sicherheit 2010: MISSLUNGENE PROFILIERUNG
„Zurück zur Politik, zurück zu den Sachthemen!“, so der Schlachtruf, der vor dem Essener Parteitag durch die Reihen der CDU hallt. Was die Christdemokraten allerdings in ihrem gestern präsentierten Grundsatzpapier „Sicherheit 2010“ zur Zukunft der Bundeswehr zu sagen hatten, war wenig dazu angetan, Rudolf Scharping in Furcht und Schrecken zu versetzen.
Von den schwammigen Formulierungen zur Erweiterung des Aktionskreises („Distanzverteidigung“ statt der guten alten Landesverteidigung) bis zur Beschwörung der drohenden „Technologielücke“ gegenüber den USA – das gleiche Strickmuster der Analyse, die gleichen Anforderungen an den Haushalt wie beim Bundesverteidigungsminister. Wenn man von der originellen Interpretation der „Amtshilfe“ absieht, die der Bundeswehr bei Einsätzen im Innern Deutschlands weitere Betätigungsfelder eröffnen soll.
Vergeblich mühten sich die Autoren des CDU-Papiers, die Regierungskoalition eines Totsparkurses zu verdächtigen. Die Idee der Schrumpfkur auf 200.000 Mann, vorgetragen von der Wehrstrukturkommission unter der Leitung von Weizsäckers, sie wird vor Scharping keine Gnade finden. Wo kämen wir denn hin, wenn sich ein Sozialdemokrat von irgendjemandem in der Sorge um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands übertreffen ließe?
Auch was die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht anlangt – nichts Neues, nichts griffig Alternatives zu den Planungen aus dem Bendler-Block. Zur Begründung der Wehrpflicht wird behauptet, die Staatsbürger seien für die Verteidigung „unmittelbar verantwortlich“. Dieser Argumentationsschrott ist das Produkt einer Gedankenwelt, in der Grundrechte jeweils mit Grundpflichten korrespondieren. Also zum Grundrecht auf Freiheit die Pflicht zu deren Verteidigung gehört etc. Davon ist zwar im Grundgesetz nichts zu lesen. Aber Rudolf Scharping denkt auch nicht anders über Rechte und Pflichten als die CDU-Pickelhauben. „Wer dient, identifiziert sich mit der Truppe.“ Auch diesen gänzlich unrealistischen Sinnstiftungsversuch teilt die CDU mit dem Verteidigungsminister.
Für die Ablösung der Wehrpflicht durch eine Freiwilligenarmee von Zeitsoldaten gibt es detaillierte Begründungen und Ablaufpläne. Nachzulesen im Gesetzentwurf der Bündnisgrünen. Aus der Zeit vor 1998. CHRISTIAN SEMLER
inland SEITE 6
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen