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Wie vermarkte ich das Leben?

Wer mit menschlichen Genen Geschäfte machen will, muss schneller sein als der amerikanische Wissenschaftsmillionär Craig Venter

von WOLFGANG LÖHR

Mitte der 80er-Jahre, die Gentechnik konnte bereits erste Erfolge vorweisen, entschloss sich eine kleine Gruppe renommierter und einflussreicher Molekularbiologen in den USA, ein internationales Projekt zur Analyse des drei Milliarden Bausteine umfassenden menschlichen Erbgutes ins Leben zu rufen.

1 HUGO: Pro Baustein wurden Kosten von einem US-Dollar veranschlagt. Ein Forschungsinstitut oder gar ein einziger Staat war damit überfordert. „Zusammenarbeit statt Konkurrenz“ war daher auch das Motto, als 1988 unter der Regie des US-Department of Energy die Gründung der international zusammengesetzten Human Genome Organization, kurz HUGO genannt, bekannt gegeben wurde. „Die Aufklärung der Gene soll den Menschen helfen, ihr Leben zu verbessern“, versprach James Watson, Nobelpreisträger und erster Koordinator bei HUGO. Und der Nobel-Kollege Walter Gilbert, der für sich in Anspruch nimmt, das Genom-Projekt erfunden zu haben, verkündete: „In 10 oder 15 Jahren gebe ich Ihnen sechs Computer-Disketten in die Hand und sage: Hier habe ich menschliche Wesen.“

2 KONKURRENZ: HUGO sei viel zu ineffektiv, um die Aufgabe zu bewältigen, das gesamte menschliche Genom zu sequenzieren. Einer von denen, die diese Meinung vertraten, war Craig Venter, ein damals noch unbekannter Biochemiker, der bei der US-Gesundheitsbehörde, den National Institutes of Health (NIH), mit der Genomsequenzierung beschäftigt war. Die Forscher bei HUGO zerschnitten die 23 menschlichen Chromosomen in relativ große Fragmente und fingen Baustein für Baustein an, die DNA zu sequenzieren. Craig hingegen wollte nur die in den einzelnen Körperzellen aktive DNA analysieren und immer nur winzig kleine Schnipsel, die erst hinterher wieder zu einem ganzen Gen zusammengesetzt werden sollen. Den ganzen so genannten DNA-Müll wollte er links liegen lassen. Zehn Millionen Dollar sollten ausreichen, alle wichtigen Gene zu finden. Venters Vorschlag wurde belächelt, sein Forschungsantrag abgelehnt. Und so beschaffte er sich einfach eine Sequenziermaschine und fing alleine an. Nach kurzer Zeit konnte er einige neu gefundene Gene vorlegen. Als er die ersten Rosinen zum Patent anmeldete, rannten ihm Geldgeber die Bude ein.

3 START: Mit rund 70 Millionen US-Dollar in der Tasche, die ihm von Risikokapitalgebern zur Verfügung gestellt wurden, verließ Craig 1992 die NIH. Als Chef des kommerziell arbeitenden Instituts TIGR (The Institute for Genomic Research) konnte er sich jetzt ganz auf die Rosinenpickerei konzentrieren. Fand er einen interessanten Schnipsel, folgte unverzüglich ein Patentantrag. Die Hoffnung war, dass es irgendwann einmal möglich sein wird, mit Hilfe dieser Genschnipsel ein Medikament zu entwickeln und dann Kasse zu machen. Venter wird bereits als der „Bill Gates der Molekularbiologie“ gehandelt. Mit jedem Patentantrag wurde der Zorn seiner mit staatlichen Geldern finanzierten Kollegen größer. Heute steht Venter seiner 1998 gegründeten Firma Celera vor. 300 Sequenzier-Roboter machen heute für Celera die Arbeit. Und das nachträgliche Zusammensetzen der Gen-Schnipsel übernimmt einer der größten in einem Privatunternehmen installierten Computer.

4 PATENTE: Das einst vom Nobelpreisträger Gilbert als „Heiliger Gral der Biologie“ bezeichnete menschliche Genom fährt für einzelne Gentech-Unternehmen bereits heute kräftige Gewinne ein. Voraussetzung dafür ist ein Patentrecht, dass es erlaubt, auch für die menschliche Erbsubstanz ein exklusives Verwertungsrecht zu bekommen. Beim US-Patentamt liegen zwar einige tausend von Venter eingereichte Patentanträge vor. Aber noch ist nicht klar, ob das Patentamt in den USA auch die Rohdaten unter Patentschutz stellt. Bei den meisten seiner Gen-Entdeckungen weiß Venter nicht, welche Funktion sie haben, ganz zu Schweigen davon, welche Medikamente sich daraus herstellen lassen. Dennoch hält er seine Arbeit für Gold wert. Viele neuen Medikamente werden in Zukunft nicht ohne Venter zu entwickeln sein. Seine Machtposition ist dann vergleichbar mit der von Bill Gates in der Computerindustie.

5 SCHNELLER: Venters Vorteil ist, dass er viel schneller sequenzieren kann als seine Konkurrenten bei HUGO. Anders als diese muss er seine Daten nicht sofort veröffentlichen. Alle an HUGO beteiligten Forschungslabore haben sich dagegen verpflichtet, innerhalb von vierundzwanzig Stunden alle neuen Sequenzen für alle Interessierten zugänglich im Internet zu veröffentlichen. Zugang zu der Celera-Datenbank gibt es nur gegen Cash. Zwei Drittel der drei Milliarden Bausteine der menschlichen DNA will Venter bereits in seine Computer eingespeist haben. Noch in diesem Jahr, so verkündete er vor kurzem, wird er als erster den Bauplan der menschlichen Erbsubstanz vorlegen.

6 ENTSCHLÜSSELUNG: Die Entschlüsselung des genetischen Codes der Fruchtfliege Drosophila melanogaster ist sein letzter Coup. In einem regelrechten Sequenziermarathon hat er zusammen mit der Universität von Kalifornien in Berkeley fast alle 190 Millionen DNA-Bausteine der Fruchtfliege analysiert. Nur ein Prozent fehlt noch. Diese Woche veröffentlichte er in Science die Daten.

7 DIE FRUCHTFLIEGE: Drosophila melanogaster ist seit gut hundert Jahren ein beliebtes Objekt der Genetik. An ihr wurden zahlreiche neue Erkenntnisse gesammelt. Es gibt wohl auch keinen Biologiestudenten, der sich nicht mit Drosophila melanogaster beschäftigen musste. Nur ungefähr drei Millimeter groß ist die Fruchtfliege. Und doch hoffen die Forscher mit ihr aufklären zu können, wie der Mensch funktioniert. Insgesamt 13.600 Gene haben die Forscher im Drosophila-Genom gefunden. Und noch etwas haben sie entdeckt: Von den 289 menschlichen Genen, die nach Meinung von Medizinern für Krankheiten verantwortlich sein können, sind 177 auch in der Fruchtfliege vorhanden.

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