: Angst vor dem gläsernen Studenten
Die Campus-Chipkarte wird jetzt auch an Berliner Universitäten eingeführt. Vorreiter ist die TU. Weniger Bürokratie erhoffen sich ihre Befürworter, die Gegner befürchten mehr Kontrolle und Ausgrenzung
„Die Warteschlange vor dem Immatrikulationsamt ist viel zu lang“, denkt sich der moderne Student und verschwindet in einen Nebenraum. Dort schiebt er seine persönliche Campus-Chipkarte in den Schlitz eines Computer-Terminals. Nach ein paar „Klicks“ hat das elektronische Formular schon seine Daten registriert. Der Student geht zum freien Schalter einer freundlichen Sachbearbeiterin und holt sich seine Immatrikulationsbestätigung ab.
Die Chipkarte als Wundermittel gegen Warteschlangen – mit dieser Zukunftsvision werben die Planer der Berliner und Brandenburger Hochschulen für ihr Konzept einer Campuskarte. Bisher gibt es solche Karten mit unterschiedlichen Anwendungsgebieten schon an einzelnen Universitäten in Deutschland. In Berlin wird seit Jahren an einer universitätsübergreifenden Lösung gearbeitet. Dabei spielt jetzt die Technische Universität im Zuge ihrer Verwaltungsreform die Vorreiterrolle.
Ab dem kommenden Wintersemester werden die ersten Studierenden und Mitarbeiter mit der multifunktionalen Karte ausgestattet, die bisher den provisorischen Namen „TU-Karte“ trägt. Rückmeldung, Adressänderung, Bibliotheksrecherche, Anmeldung zu Veranstaltungen, Prüfungen und der Zugang zu bestimmten Räumen sollen damit viel unkomplizierter werden als bisher. „Damit verbessern wir den Service für die Kunden der Hochschule und sparen Verwaltungskosten“ meint der von der TU-Leitung berufene Informations- und Kommunikationsbeauftragte, Klaus Rebensburg.
Doch Vertreter der größten potenziellen Kundengruppe, die Studierenden der „AG fish & chips“, sind skeptisch: Für sie stehen zu viele personenbezogene Daten auf einer Karte: Foto, Name und Statusgruppe sollen die Plastikkarte zieren, der Chip enthält Matrikelnummer, Hochschulkennung und Gültigkeitsdauer. In Zukunft soll die Karte auch als Semesterticket für den öffentlichen Nahverkehr benutzt werden können – wenn die BVG mit ihrem „tick.et“-Projekt entsprechende Erfolge vorweisen kann. Wenn das Studentenwerk sich auf der TU-Karte „untermietet“, könnte sie auch als Mensakarte benutzt werden.
„Theoretisch kann damit ein komplettes Studien- und Bewegungsbild der Studierenden erstellt werden“, befürchtet Jule von der „AG fish & chips“. „Man könnte sehen, mit welcher U-Bahn ich zur Uni gefahren bin, welche Bücher ich ausgeliehen habe, an welchem Computer ich wie lange gesurft habe und was ich in der Mensa gegessen habe.“
Solche Horrorszenarien eines „gläsernen Studenten“ werden von den Initiatoren der Karte zerstreut: „Die verschiedenen Funktionen des Chips sind vollkommen unabhängig voneinander und können nicht gemeinsam aufgerufen werden“, versichert Klaus Nagel, technischer Leiter des Projekts. Die enthaltene „Digitale Signatur“ ermögliche außerdem größtmögliche Sicherheit. Mit dieser elektronischen Unterschrift werden personenbezogene Verwaltungsvorgänge per Internet erst ermöglicht: Dabei erhält jeder Nutzer einen öffentlichen und einen geheimen Schlüssel. Beide Schlüssel müssen von einem Trustcenter zertifiziert werden. Mit diesem Schlüsselpaar kann der Absender Daten an den Empfänger senden. Der kann damit sicher sein, dass die Daten „authentisch“, also nur von diesem Absender sind.
Auch wenn dieses Verfahren die bisher sicherste Verschlüsselungsmethode ist, werden jedesmal Spuren hinterlassen, wenn man die Karte benutzt. Das müssen auch die Planer einräumen, die eng mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten zusammenarbeiten. Ihre Lösung: Der Missbrauch durch Vernetzung der einzelnen Daten muss zusätzlich zur „technischen Unmöglichkeit“ durch ein entsprechendes Regelwerk ausgeschlossen werden. Die Projektleiter haben schließlich aus dem datenschutzrechtlich nicht ganz einwandfreien Pilotprojekt an der Technischen Fachhochschule (TFH) gelernt: Dort konnten die Daten der Chipkarte, die auch als Geldkarte fungierte, zum Beispiel beim Kauf einer vergünstigten Eintrittskarte außerhalb der Hochschule eingesehen werden.
Selbst wenn in Zukunft datenschutzrechtlich alles glatt läuft, wird die Campuskarte den Hochschulalltag verändern. Weniger Bürokratie erhoffen sich ihre Befürworter, vor mehr Kontrolle und Ausgrenzung fürchten sich ihre Gegner. Dass neue Anwendungen „mit geringem Aufwand“ und möglicherweise ohne Mitsprache der Nutzergruppen auf der Chipkarte installiert werden können, trägt zur Verunsicherung bei. SILVIA LANGE
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