: SPD-Rebellen werden abgemeiert
Kanzler Schröder weist die Kritik von SPD-Linken an seinem Regierungsstil zurück. Diese sollten sich mehr mit Sachverhalten als mit Briefeschreiben beschäftigen. Andrea Nahles beklagt die „Entparlamentarisierung“ der Politik
von PASCAL BEUCKERund NICOLE MASCHLER
Gute Stimmung hatten SPD-Chef Gerhard Schröder und sein Vize Wolfgang Clement einen Monat vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl verbreiten wollen. Doch ihr Optimismus hielt sich gestern nach der Klausurtagung des SPD-Präsidums in Köln in Grenzen. Der offene Brief der SPD-Linken zum Berufsbildungsbericht 2000 hat dem Kanzler gründlich die Laune verdorben. In der Zeitung Die Welt hatten elf Bundestagsabgeordnete um Andrea Nahles ihren Chef aufgefordert, „öffentlich Stellung zu beziehen“ und bei den Wirtschaftsverbänden auf die Umsetzung ihrer Zusagen zu dringen. Es gehe um die Zukunftschancen junger Menschen, aber „auch um die Glaubwürdigkeit der Konsensgespräche“.
Ob er den Brief beantworten wolle? Das Schreiben mit der Anrede „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Gerhard“ sei doch gar nicht an ihn gerichtet gewesen, sondern an die Journalisten. „Deswegen werde ich ihn auch nicht beantworten“, so Schröder. Einen Seitenhieb in Richtung SPD-Linke konnte er sich nicht verkneifen. Die Lehrstellensituation sei gerade im Osten Deutschlands „noch nicht optimal“. Das läge allerdings daran, dass es dort zu wenig Betriebe gäbe – und nicht etwa an der Verweigerungshaltung der Unternehmen. Das hätten auch die Briefautoren wissen können, giftete der Kanzler. Aber die beschäftigten „sich mehr mit dem Schreiben von Briefen als mit Sachverhalten“.
Im Gespräch mit der taz verteidigte Andrea Nahles das Vorgehen der SPD-Abgeordneten. „Das Bündnis für Arbeit ist als Gremium nicht im Parlament angesiedelt. Deshalb haben wir diesen Weg gewählt.“ Die Entparlamentarisierung wichtiger Politikbereiche, wie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sähen viele Linke überdies sehr kritisch. Von einer Rechts-links-Auseinandersetzung will die Ex-Juso-Chefin aber nichts wissen. Das Schreiben sei kein Angriff auf Schröder. „Eigentlicher Adressat des Briefes ist die Wirtschaft.“ Die Unternehmen müssten ihren Teil der Verantwortung übernehmen.
Im Bündnis für Arbeit hatte sich die Wirtschaft verpflichtet, 1999 den demografisch bedingten zusätzlichen Bedarf zu decken und darüber hinaus mindestens 10.000 weitere Stellen einzurichten. Doch der in der vergangenen Woche veröffentlichte Berufsbildungsbericht zeigt, dass die meisten der 24.000 neu geschaffenen Ausbildungsstellen auf das Regierungsprogramm „Jump“ zurückzuführen sind. Dagegen ist die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze nach Einschätzung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gesunken – in den alten Bundesländern um 0,5 Prozent, im Osten sogar um 5 Prozent.
Nahles will ausbildungsunwillige Betriebe notfalls per Gesetz in die Pflicht nehmen. „Wenn die Unternehmen nicht freiwillig Verantwortung übernehmen, dann brauchen wir eben eine Umlage.“ Für Schröder ist eine solche Abgabe jedoch „kein Thema“.
In einem Beschluss stellte sich das SPD-Präsidium gestern hinter den Kanzler. „Im Bereich der Ausbildungsstellen hat sich das Blatt gewendet.“ Die Zahl der Lehrstellen habe sich gegenüber 1998 um rund 3 Prozent erhöht. „Hieran haben das Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit und die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit einen entscheidenden Anteil.“ Nun sei die Wirtschaft in der Pflicht.
Über den offenen Brief war es in der vergangenen Woche zum Streit mit SPD-Fraktionschef Peter Struck gekommen. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Abwehrreaktionen nicht so heftig ausgefallen wären. Schließlich war der Ton unseres Briefes sachlich“, bedauerte Nahles.
Sie hat nun noch einmal zum Papier gegriffen – und einen Brief an Fraktionschef Struck geschrieben. „Ich habe ihm vorgeschlagen, dass wir die nächste Runde des Jugendsofortprogramms mitvorbereiten.“
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