: Soziales spart – illegal
■ Sozialbehörde will bei Förderung von Behinderten sparen / Gericht und Eltern stoppten die Sparaktion
Die Bremer Sozialbehörde versucht zu sparen. Das geschieht oft lautlos, weil sich die Betroffenen nicht zu wehren wissen. Manchmal aber widersetzen sie sich doch. Im Falle der Schülerin Yvonne B. hat nun auch das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass es schlicht rechtswidrig gewesen ist, was das Sozialressortes als Spar-Maßnahme verfügt hatte.
Der Fall: Das 7-jährige Kind, das seit der Geburt unter einer Alkohol-Embryopathie und einer Epilepsie leidete, hatte das Glück, adoptiert zu werden. Die Mutter, die auch ein zweites Kind adoptierte und inzwischen allein erziehen muss, lebt vom geringen Unterhaltsgeld und Sozialhilfeansprüchen. Mit einigen Gutachten ausgestattet, brachte sie Yvonne zur Tobias-Schule, einer privaten Waldorf-Einrichtung, die Kindern mit besonderem Förderbedarf in kleinen Lerngruppen besonders helfen kann. Zwar gibt es grundsätzlich das Konzept, dass Kinder mit Förderbedarf in „normalen“ bremischen Grundschulen versorgt werden können, aber auch die betreffende Grundschule in Obervieland musste erklären, dass sie für 6er-Kleinguppen nicht das Personal hat, die erforderliche Förderung also nicht anbieten kann.
Wer zahlt das Schulgeld, wer die Fahrtkosten von Obervieland nach Oberneuland, das war nun die Frage. Die Sozialbehörde weigerte sich, verwies auf die zuständige Schulbehörde. Die weigerte sich ebenfalls, verwies auf die Sozialbehörde. Die Mutter akzeptierte dies nicht, sondern kämpfte vor Gericht für die optimale Förderung ihres Kindes – mit Erfolg. Die Sozialbehörde beantragte Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht – und wurde Anfang April wieder abgewiesen. Anstatt nun aber das Gerichtsurteil zu akzeptieren, schickte die Sozialbehörde der Mutter einen Brief, in dem es heißt, bis Juli würden die Kosten (zum großen Teil) übernommen, für das kommende Schuljahr aber nicht.
Geht nun im kommenden Schuljahr der gerichtliche Streit wieder los? „Mit Sicherheit“, rechnet Rechtsanwalt Westerholt. Nach Auskunft des Sprechers der Bildungsbehörde, Rainer Gausepohl, liegen Sozial- und Bildungsbehörde nicht nur in diesem Fall im Streit um die Kosten für die Beschulung. „Da wird zur Zeit noch gerangelt“, sagt er. Insgesamt 1,2 Millionen Mark im Jahr will die Sozialbehörde in diesem Bereich einsparen. Und so ist derzeit völlig offen, ob der Mutter im kommenden Jahr wieder der Streß des gerichtlichen Streits um die Finanzierung der Tobias-Schule zugemutet wird. Die Sozialbehörde deutete eine andere Lösung an: „Geprüft“ werden müsse, ob das Kind nicht doch aus der stabilen Kleingruppe herausgeholt und auf die normale Grundschule geschickt werden könne. Das sehen sowohl die Gutachter, die das Kind in der Reha-Anstalt Friedehorst stabilisiert haben, wie die betroffene Schule und auch die Fachreferentin der Bildungsbehörde anders, aber das rührte die Sozialbehörde nicht.
Gleich mehrere Millionen will die Sozialbehörde in einem anderen Bereich sparen, bei der Unterbringung Behinderter in Wohngruppen. 600 Behinderte sind in Bremen in Wohngruppen untergebracht, die Kosten für die Rundum-Betreuung liegen bei 9.000 Mark im Monat, die Pflegekassen geben einen Zuschuss von 500 Mark. Ohne die betroffenen Eltern zu informieren hatte die Sozialbehörde einen „Landespflegeplan“ entworfen, nachdem die Behinderten auf die Stufe von „Pflege“-Einrichtungen zurückgestuft werden sollten. Das hätte Millionen gespart und zudem die Pflegekassen in die Pflicht der Finanzierung gezwungen. „Klarer Rechtsbruch“ sei das gewesen, sagt der Sprecher der betroffenen Eltern, Herbert Wulfe-kuhl. Vorsichtshalber ist auch da ein Rechtsanwalt eingeschaltet. Die von den Eltern mobilisierten Sozialpolitiker der CDU und der SPD haben in der Deputation den Vorgang erstmal gestoppt. Die „Eingliederungehilfen“ nach dem Bundessozialhilfegesetz sind sehr viel weitreichender und eben auch teurer als die „Satt-und sauber-Pflege“ nach der Pflegeversicherung. Das Bremer Sozialressort hätte sich beinahe, so Wulfekuhl, auch über eine weitgehend einstimmige Entschließung des Bundestages hinweggesetzt, der als „Willen des Gesetzgebers“ festgestellt hatte, dass es „nicht allein aus finanziellen Gründen zu einer Umwandlung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe in Pflegeheime kommen“ dürfe. Genau dies hatte die Sozialbehörde vorgehabt. „Inhaltlich und rechtlich unverantwortlich“, empört sich der engagierte und betroffene Vater Herbert Wulfekuhl, der übrigend beruflich Leiter der Landeszentrale für politische Bildung ist. K.W.
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