: Der Erfolg und sein Schrecken
Goldene Zeiten für Literatur (I): Der Hype um die jungen Schriftsteller will verarbeitet sein. Was dem Betrieb nicht gelingtAbfall für alle? Die neue deutsche Literatur: Schnell geschrieben? Schnell gelesen? Schnell weggeworfen?Eine Artikelreihe über Popliteraten, Jungschriftsteller, Markterfolge und die Folgenvon DIRK KNIPPHALS
Ach, unsere schöne, schlappschwänzige, gedrechselte, fröhliche, schwierige, poppige, komplizierte, oberflächliche, tiefe, verquatschte Literatur. Es ist, nicht wahr, auf diesem Gebiet gerade eine ganze Menge los. Und was noch merkwürdiger ist: Das interessiert sogar die Leute – über den inneren Kreis des Literaturbetriebs hinaus
Es herrschen im Moment goldene Zeiten für die deutsche Literatur. In Frage steht noch, wie diese Situation zu beschreiben wäre: als Verfall oder als Chance oder als vertane Chance oder als was auch immer. Aber in der Diagnose sind sich alle einig: Ein Ruck von geradezu exbundespräsidialen Ausmaßen hat die Szene erschüttert. In einer solchen Situation ist es angebracht, für einen Moment zurückzutreten und sich die Augen zu reiben, um zu begreifen, was da alles passiert ist.
Schließlich ging es rasend schnell. „Es sieht also gar nicht so schlecht aus“ – so eine schlichte Feststellung konnte vor vier Jahren wirklich noch Verblüffung hervorrufen. Sie stammt aus dem Nachwort zu einer Anthologie mit dem Titel „Wenn der Kater kommt“. Martin Hielscher, umtriebiger Lektor beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, unternahm hier einmal mehr den Versuch, junge deutsche Schriftsteller zu propagieren. Der Satz, so vorsichtig er auch ausfiel, klang 1996 noch wie Pfeifen im Walde, und zwar nicht allein aus dem Grund, dass das keineswegs Hielschers erster Versuch war. Jahrelange, wenn auch bis dahin eher fruchtlose Vorarbeiten waren ihm vorausgegangen.
Als dann, im Jahr 1998 war’s, der Programmchef Rainer Moritz und die Kritikerin Andrea Köhler im Band „Maulhelden und Königskinder“ die Literaturdebatten der Neunzigerjahre nachzeichneten, stand auf der Rückseite immer noch eine Wendung zu lesen, auf die sich zu der Zeit noch alle einigen konnten: die Wendung von der „viel gescholtenen deutschen Literatur“. Man kann es nicht genug betonen: Das ist gerade mal zwei Jahre her! Man mag es ja kaum noch wahrhaben, aber bis vor ganz kurzer Zeit galt es geradezu als geschäftsschädigend, als neuer deutscher Schriftsteller bezeichnet zu werden. Das Etikett erhöhte zwar die Chancen in dem Rennen um die vielfältigen Preise und Stipendien, die der Literaturbetrieb zu vergeben hatte. Aber die Bücher der so anoncierten Autoren blieben in den Regalen liegen.
Und heute? Heute – eene, meene, miste – rappelt's in der Kiste. Hugendubel, Deutschlands größte Buchhandelskette, gibt eine Broschüre mit dem Titel „Neues Deutschland – die neue Lust am Erzählen“ heraus: randvoll mit jungen deutschen Autoren. Ausländische Schriftsteller, selbst die Amerikaner, bleiben außen vor. Der Maiausgabe der Frauenzeitschrift Allegra liegt ein „special“ bei – „Wie wäre es mal mit einem guten Buch?“, fragt die Titelseite, und im Innenteil preisen deutsche Autoren andere deutsche Autoren zur Lektüre an.
Will sagen: Auch Institutionen, die allein schon aus Kosten-Nutzen-Kalkül auf den Mainstream setzen müssen, kommen nun an der deutschen Literatur nicht mehr vorbei. Wobei hier keinesfalls nur Autorennamen verhandelt werden, die Marktgängigkeit garantieren. Die Lyriker Albert Ostermaier und Paul Wühr sind bei der Hugendubel-Broschüre mit von der Partie. Und denjenigen, der dem sperrigen Autor Paul Wühr eine Anbiederung an Marktmechanismen attestiert, möchte man wirklich sehen.
Was geschieht hier also? Man wird wohl gut daran tun, beim Nachdenken über den Stellenwert der Literatur mit ein wenig Unbefangenheit auf Dinge zu achten, von denen man bis vor ganz kurzer Zeit guten Gewissens absehen konnte. Denn es gilt der Tatsache ins Auge zu blicken, dass nun eine Situation eingetreten ist, die bislang bestenfalls als Wunschtraum in den Köpfen einiger Literaturliebhaber existierte. Sich für junge deutsche Erzähler stark zu machen, lässt sich inzwischen als Imagegewinn verbuchen. Es ist offensichtlich sogar Geld zu verdienen mit neuer deutscher Literatur. Kurz: Die Literatur ist über den Tellerrand des Betriebs hinausgetreten. Sie hat Erfolg.
Diese Entwicklung bringt – man ist fast geneigt zu sagen: wie das eben so ist – Verschiebungen und Verwerfungen mit sich. Und zwar nicht allein deshalb, weil das Ressentiment gegen Erfolg im Bereich der Kultur zu den altehrwürdigsten Einstellungen gehört, die wir haben. Die Veränderungen im Literaturbetrieb vollziehen sich darüber hinaus grundlegender und umfassender, als es erwartet und erwünscht wurde.
Es geht hier ja keineswegs nur um den Austausch der im Literaturbetrieb behandelten oder, auch das gibt’s schließlich, handelnden Personen – wobei schon das mehr wäre, als üblich war in den zurückliegenden Jahrzehnten. Es geht um den Wandel in der Art und Weise, wie über Literatur geredet wird, wie sie an den Leser gebracht wird und mit welchen Erwartungen sie schließlich gelesen wird. Im Augenblick fallen Diskursschranken, die unserem Umgang mit Büchern jahrzehntelang strukturiert haben. Es wird zumindest eine Neuorientierung verlangt.
Es ist gar nicht mehr so lächerlich, mit einer Frauenzeitschrift in eine wohlsortierte Buchhandlung zu gehen, die Literaturseite aufzuschlagen, mit dem Finger auf das abgebildete Cover zu zeigen und zu sagen: Dieses Buch will ich haben. Und im Umkehrschluss gilt genauso, dass das Lesen eines unserer Hochfeuilletons keineswegs mehr garantiert, im Herzen der literarischen Entwicklungen geborgen zu sein. So eine Situation will wirklich erst einmal verdaut werden!
Was nicht allen gut gelingen will. Wie nah Genugtuung und Enttäuschung nebeneinander liegen, hat der Schriftsteller Thomas Hettche kürzlich in einem fulminanten und für seine Verhältnisse ziemlich gradlinigen Essay ausgedrückt. „Zunächst einmal trägt die Möblierung des literarischen Raums für mich erkenntlich endlich nicht mehr die Signatur einer anderen Generation. [...] Was ganz konkret bedeutet, dass ich endlich Corino, Karasek und Hamm und Hage nicht mehr lesen muss.“
Das zweifache „endlich“ spricht Bände. Ein Generationswechsel soll’s schon sein. Nur dass Hettche den Großteil seines auf beinahe eine ganze FAZ-Seite angelegten Essays dazu verwendet, die neue Generation von Schriftstellern beinahe durch die Bank abzustrafen. „Allfällige Optimierung für den Markt“ lautet im Kern der Vorwurf: „Es lässt sich beobachten, dass der ökonomische Erfolg zunehmend selbst zum ästhetischen Argument wird.“ Der Generationswechsel soll sich also, bitte schön, unter Beibehaltung der alten, marktfernen Strukturen vollziehen. Nur mit Hettche statt mit „Corino, Karasek und Hamm und Hage“ in der Spielmacherpostition.
In diesem Essay ist mehr zu erkennen als nur der Abwehrreflex eines Vertreters der in die Defensive geratenen Suhrkamp-Kultur. Hettche ist den Verkaufsbeilagen der Buchhandelsketten wie den Literatur-„specials“ der Magazine nämlich näher, als ihm lieb sein kann. Er befindet sich zwar auf der gegenüberliegenden Seite, aber immer noch auf der gleichen Ebene der von ihnen vorgegebenen Denkstruktur. Den Buchketten ist alles gut, was sich verkauft. Für Hettche aber ist alles, was sich gut verkauft, schlecht. Eine Pauschalisierung ist das eine wie das andere. Hettche starrt genauso auf die Umsatzzahlen, wie die Buchhalter der in letzter Zeit so viel beschworenen Verlagskonzerne es tun. Nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Es ist wahrscheinlich gar nicht schlecht, ein wenig skeptisch und mit ironiebereitem Hintersinn auf den Hype zu blicken, der unsere jungen Schriftsteller zur Zeit umfasst hat. Aber muss man ihnen gleich einen Strick aus dem Erfolg zu drehen versuchen? Wohl kaum.
Den Gegner zum Popanz zu machen, indem man ihn in seinen Absichten gar nicht mehr ernst nimmt, das gehört zu den Allzweckwaffen im Arsenal intellektueller Auseinandersetzungen. Thomas Hettche argumentiert differenziert; aber wenn dieses für die Vertreter des traditionellen Literaturbetriebs durchaus symptomatischen Argumentationsmuster nur ein klein wenig die Spannung verliert, landet es bei der Denunziation. Oder wie anders ist Ulrich Greiners Satz kürzlich in der Zeit zu verstehen, Rainald Goetz und den „jüngeren Schriftstellern der Marke Generation XY“ gehe es „nur noch ums Mitquatschen im Chatroom der einverständig Angeschlossenen“? Es hat schon intelligentere Versuche gegeben, sich auf veränderte Situationen nicht einstellen zu müssen.
Wie es aber aussieht, ist ein Generationswechsel in der deutschen Literatur nicht ohne Änderungen im Umgang mit Büchern zu haben. Man sollte sich diese Änderungen genau und ohne Vorbehalte ansehen. In der Artikelreihe, die auf diesen Auftakt folgen wird, haben wir uns das vorgenommen. Wer weiß schon, wozu das einmal gut sein wird? Außerdem gebietet es allein schon die intellektuelle Neugier.
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