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Kreuzberg im Mai

Der Erste Mai in Versatzstücken: 10.000 Menschen kamen zur traditionellen Revolte in Berlin-Kreuzberg. Die einen schmeißen Steine, die anderen schauen zu und trinken Martini

30. April. Die Walpurgisnacht. Schon am Sonntag nachmittag war der Demo-Tourismus in vollem Gange. Als das Walpurgisnachtfest im Prenzlauer Berg ins Wasser fiel, weil es wie aus Kannen goss, irrten Dutzende von Jugendlichen aus den verschiedensten Bundesländern mit ihren Wagen durch den Ostberliner Szenebezirk. Als Wegweiser fungierten Aufkleber, auf denen es hieß „stören – blockieren – verhindern“. Einzige Profiteure dieser 1.-Mai-Erlebnishungrigen waren Imbissbudenbesitzer, die sich über den unerhofften Zulauf freuten.

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1. Mai, 15.00 Uhr. Kottbusser Tor. Die „Fremdkräfte“ aus Bamberg sitzen in voller Kampfmontur und Brustpanzer in den Funkwagen und gucken nicht gerade fröhlich aus der Wäsche. Weil die Fenster trotz der hochsommerlichen Temperaturen geschlossen sind, schmort die Truppe im eigenen Saft. Dabei ist es draußen absolut friedlich.

1. Mai, 15.00 Uhr. Auf dem Mariannenplatzfest ist man versöhnt mit der Welt. Alle sehen klasse aus: die Alkoholiker, die zu Karibikliedern wippen, die schönen türkischen Mütter und der Typ mit dem T-Shirt, auf dem Helmut Kohl eine Afro-Frisur trägt. Um 17.30 Uhr singt ein bärtiger Haudegen „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“

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15.00 Uhr. Still ist es in Friedrichshain, Kreuzberg ist weit weg. Ein Freund aus Journalistenschulzeiten kommt vorbei. Er hat keine Lust, auf die revolutionäre 1.-Mai-Demo zu gehen: Das würde wohl doch zu heftig werden dieses Mal, meint er. Aber er hat Besuch bekommen von den Resten seiner früheren Antifa-Gruppe aus dem Rheinland – für viele von denen sei der 1. Mai der Höhepunkt des Jahres, erzählt er. Endlich mal geballte linke Gegenmacht in einer Demo mit Tausenden erleben. Doch enttäuscht zeigt sich mein Freund von dem Niveau seiner Antifa-Genossen. Politisch hätten einige von ihnen nichts mehr drauf. Ausnahme: Ein Medizinstudent, der schon Aufsätze in medizinischen Fachzeitschriften veröffentliche. Obwohl – der sei auch etwas komisch. Am Sonntag sei er durch die Wohngemeinschaft marschiert und habe in allen Zimmern von sich aus die Fenster geputzt. Die Rheinländer seien am Vortag des 1. Mai zudem die Demostrecke in Kreuzberg abgelaufen, um an strategischen Orten schon mal ein paar Pflastersteine auszubuddeln.

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18.25 Uhr. Shell-Tankstelle nahe Moritzplatz. Vor dem Demo-Großeinsatz heißt es schnell noch mal Austreten. Vor dem einzigen Klo hat sich eine Schlange von BGSlern formiert. „Beeilung“ wummert einer an die verriegelte Tür. Unterdessen entleeren sich die Demonstranten am Oranienplatz in Büsche.

18.20 Uhr. Die Atmosphäre ist weitaus entspannter als in den vergangenen Jahren. Zwei türkische Männer scherzen mit Polizeibeamten und bekommen schließlich, was sie wollen: den Sticker der AHA-Truppe, die sich auch in diesem Jahr wieder die Deeskalation auf ihre Fahnen geschrieben hat.

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19.00 Uhr. Im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke: Journalisten können auf einem Monitor mitverfolgen, wie sich der Demonstrationszug am Oranienplatz in Bewegung setzt. Auch die spätere Straßenschlacht wird live übertragen. Die Bilder der Kameramänner, die auf Funkwagen, Hochhäusern und in Hubschraubern postiert sind, sind gestochen scharf. Beim Zoom kann man die Gesichter der Demonstranten erkennen. Der Film läuft aber ohne Ton.

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19.30 Uhr. Der Demonstrationszug quält sich langsam durch die Oranienstraße. „Hey Alte“, blöckt ein junger Punk in sein Handy, die Mutter am Ohr, „die Bullen haben mich noch nicht verhaftet, Tschau.“ Den Zug der zehntausend überragt ein umgebauter Lastwagen mit Lautsprechern für Parolen und Musik. Ganz oben tanzt angestrengt eine Schwarzhaarige, die ihre Arme nach oben wirft, als wolle sie zum ZDF-Fernsehballett. Kollegin Bollwahn, in ihrer Funktion als „Reporterin beobachtet Autonome“ unterwegs, schlägt darauf hin vor, „einen trinken zu gehen“, da ja eh nichts passiere.

20.16 Uhr. Der Martini ist leer. Auf der Straße jagen sich Polizeifahrzeuge ohne bestimmtes Ziel. Viel junges Volk zieht vorbei, mal heiter, mal beschwipst, mal Multikulturelles kauend von den Ständen des nahen Mariannenplatz-Festes.

20.33 Uhr. Der Heinrichplatz kommt in Bewegung. Die Nachricht, der Demonstrationszug komme aus Richtung Albertstraße wieder zurück zum „O-Platz“, bringt die Kellner ins Schwitzen. „Zahlen, zahlen“. Auch verpesten immer mehr vorbeirasende Wannen die frühlingshafte Luft, die zum „O-Platz“ fahren.

20.53 Uhr. Aus der Straße, in der ich meinen Wagen geparkt habe, rennen durchnässte Jugendliche, türkische Handy-Machos und ein paar Frauen, die Kinderwagen vor sich herschieben. Ein paar „Bullen“ rennen hinterher, bremsen aber ab. In der Oranienstraße funkelt Blaulicht und die Luft wird tränig.

20.59 Uhr. „Bitte biegen Sie nach rechts ab.“ Das mache ich.

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20.30 Uhr. Über den Oranienplatz schießen die Fontänen der Wasserwerfer. Die Polizei versucht, die Demonstranten vom Platz abzudrängen. Die Beamten greifen Einzelne aus der Menge ab, ohne dass für Beobachter ersichtlich ist, ob sie eine Straftat begangen haben. Frauen schreien den Festgenommen vom Bürgersteig aus hektisch zu: „Wie heißt du? Sag schnell deinen Namen.“ Ein junger Mann, der im Würgegriff abgeführt wird, kann nur ein unverständliches Gurgeln ausstoßen. Ein anderer schreit: „Ich hab doch gar nichts gemacht.“ Ein Polizeibeamter erklärt, dass man einzelne Störer und Straftäter abgreife, die man wiedererkannt habe, zum Teil auch Minuten nach der Tat.

20.46 Uhr. Der Lautsprecherwagen versucht, den O-Platz zu verlassen. Am Ende des Platzes stehen Wasserwerfer und Räumpanzer im Weg, die Fahrer sind eifrig bemüht, die Straße freizuräumen. Die Polizeifahrzeuge verkeilen sich aber beim Rangieren. Bisweilen wirkt das Konzept der Polizei, als wäre die diesjährige Demonstration ihr erster Maieinsatz überhaupt. Planlos fahren die Einsatzwägen auf und ab, einmal fährt eine Wanne beinahe eine Truppe Polizeibeamter um, die gerade zu Fuß unterwegs ist. Und dazwischen die bayerischen Polizisten aus Bamberg. Diese rücken eng zusammen, wie um sich gegenseitig Mut zu machen.

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20.50 Uhr. Polizeifilm: Auf der Oranienstraße steht ein Papier-container in Flammen.

21.08 Uhr. Polizeifilm: Eine Gruppe unmaskierter Jugendlicher – vom Aussehen könnten es Punks sein – treten die Scheiben an der Bushaltestelle am Kottbusser Tor ein. Einer davon randaliert an einem Reklamekasten vor der Sparkasse weiter. Plötzlich stürmen aus der Dunkelheit mehrere knüppelschwingende Zivilbeamten hervor. Ob sie den fliehenden Punk erwischen, ist nicht zu sehen.

In der Nacht sind vier Wasserwerfer in Kreuzberg im Einsatz. Die 9.000 Liter, die ein Wagen fasst, sind bei vollem Beschuss aber schnell verbraucht. Nach dreieinhalb Minuten heißt es: Ab zum Nachtanken.

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21.15 Uhr. Nachdem die Polizei mit Wasserwerfern und Räumpanzern mehrfach die Adalbertstraße auf und ab gefahren war, zog sie sich wieder zurück. Überall sammelten sich Demonstranten, darunter viele türkische Jugendliche, aber auch Familienväter. Steine wurden ausgegraben, es herrschte eine beinahe heitere, ausgelassene Stimmung. Die Polizei lieferte ein Freizeitangebot, das Publikum nahm an.

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21.30 Uhr. Eine Polizeikette, die den Zugang zur Oranienstraße versperrte, zieht plötzlich ab. Hunderte von erlebnisorientierten Jugendlichen sprinten in die bereits mit Steinen und Flaschen übersäte Straße. Als Feind präsentieren sich ein paar Mülltonnen. Sie werden auf die Fahrbahn gezogen. Nichts passiert. Sie werden angezündet. Nichts passiert. Aus einem Fenster dröhnt Technomusik. Eine Flasche fliegt ziellos durch die Gegend. Der Wasserwerfer kreuzt die Straße und bietet endlich ein Ziel für Steinwürfe. Nach 20 Minuten rückt die Polizei wieder an. Die Jugendlichen flüchten vor dem Tränengas in die begrünten Hinterhöfe der renovierten Altbauten. Freundliche Kreuzberger haben Leitern aufgestellt, um die Flucht über Zäune zu erleichtern. In einem anderem Hof werfen Bewohner Knaller auf die Flüchtenden.

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21.37 Uhr. Dresdener Straße. In der Kneipe Franziskaner ruhen sich einige Demonstranten von den Strapazen aus; im Fernsehen läuft die Fußballübertragung Cottbus-Mönchengladbach. Eine Frau kühlt sich das Gesicht, sie hat eine Polizistenfaust unter das Auge bekommen.

21.45 Uhr. Vor dem Imbiss an der Kottbusser Brücke, etwas ab vom Geschehen, stehen drei ältere Kämpen und kommentieren fachmännisch die Lage. „Der Oranienplatz ist geräumt“, berichtet einer. Der andere meint anerkennend: „Die Musik vom Lautsprecherwagen war echt gut.“ Ein paar Meter weiter läuft unbeirrt ein Jogger am Landwehrkanal.

21.53 Uhr. Dresdener Straße. Türkische Familinväter zeigen ihren Söhnen, wo es Richtung Polizei geht, während sie Wache an den Hauseingängen stehen, die sie je nach Bedarf auf- und zusperren.

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22.14 Uhr. Kottbusser Tor. Tränengasgeruch hängt in der Luft. „Eh, wo seid denn ihr jetzt?“, ruft ein Demonstrant in sein Handy. „Geht’s ab bei euch? Okay, ich versuch, mich durchzuschlagen.“ Auffällig ist, dass fast jeder dritte Steinewerfer ein Mobiltelefon besitzt, mit dem in den Kampfpausen ständig kommuniziert wird. Erst spät wird die Fußgängerbrücke über der Adalbertstrasse geräumt. Immer wieder waren auch von dort Steine geflogen. Aus einer darüberliegenden Wohnung flog sogar ein Blumentopf auf die Strasse.

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22.30 Uhr. Am Heinrichplatz fordert die Polizei mal wieder die Umstehenden auf, das Gelände zu verlassen. „Gehen sie Richtung Hochbahn“, tönt es aus dem Lautsprecher, „sie werden dann dort auch wirklich durchgelassen.“

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23.00 Uhr. Weit weg von den Ausschreitungen, in der Friedrichstraße und am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte bewachen Bundesgrenzschützer die Schaufenster der Nobelläden und Cafés. Die Beamten in Mannschaftswagen, Räumpanzern und Wasserwerfern haben die Füße hochgelegt.

GEREON ASMUTH, BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA, PHILIPP GESSLER, KIRSTEN KÜPPERS, ROLF LAUTENSCHLÄGER, PLUTONIA PLARRE, UWE RADA, RICHARD ROTHER, DOROTHEE WINDEN

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