: „Ich hab’s aufgegeben“
Die Abtreibung per Pille findet nicht statt. Auch der Gynäkologe Friedrich Stapf will Mifegyne nicht anwenden, obwohl er für das Mittel gekämpft hatte: Das Sozialamt zahlt Ärzten zu wenig dafür
taz: Sie verweigern Not leidenden Frauen die Pille, für die Sie selbst gekämpft haben. Warum ist aus dem Freund der Frauen ein Vertreter der Zwei-Klassen-Medizin geworden?
Friedrich Stapf: Ich bekomme für eine Behandlung mit der Pille 260 Mark. Dafür kann ich nicht arbeiten. Ich untersuche die Frauen drei- bis viermal, nehme Blut ab und mache mindestens drei Ultraschalle. Beim zweiten Termin liegt die Frau vier bis sechs Stunden im Ruheraum. Viele haben während der Austreibungsphase sehr starke Schmerzen, wir müssen uns sehr intensiv um sie kümmern. Die Praxis ist in dieser Zeit blockiert. Eine einigermaßen kostengerechte Vergütung liegt bei etwa 450 Mark.
Sie meinen, die Zwei-Klassen-Medizin ist unumgänglich?
Nicht unbedingt. In Sachsen und Schleswig-Holstein haben sich Ärzte und Kassen darauf noch vergangenes Jahr geeinigt, den medikamentösen Abbruch ähnlich angemessen dem instrumentellen zu entlohnen.
Warum sagen Sie nicht, es ist meine verdammte ärztliche Pflicht, Frauen einen schonenderen Abbruch zu machen, egal wie er vergütet wird?
Es kann nicht sein, dass ich meine Arbeit unter Wert verkaufe und rund 300 Mark drauflege. Das Problem liegt nicht bei mir, sondern beim Bewertungsausschuss der Kassenärztliche Bundesvereinigung, die generell eine medizinische Leistung bemisst.
Weil Abtreibungsärzte sich dort nicht durchsetzen, sollen Frauen zahlen?
Dort sitzen sieben Ärzte und sieben Kassenvertreter, und die sind gottgleich, da ist seit Anfang des Jahres nichts machbar. Ein Gynäkologe aus Bayern ist dabei, und dem passt der medikamentöse Abbruch nicht. Beim operativen Eingriff kriegen wir für die Nachbetreuung 120 Mark, wenn wir das Geld für die medikamentösen bekommen würden, wäre alles in Ordnung.
Jetzt machen Sie dicht und üben sich in Verweigerung?
Ich bin beim Bundesgesundheitsministerium vorstellig geworden, ich habe dem Bundesausschuss seitenlange Briefe geschrieben und mit Pro Familia gemeinsam für mehr Geld gekämpft. Ich hab’s aufgegeben.
Es gibt viele, die sich nicht über diese Methode informieren. Die machen lieber ihre altbewährten Ausschabungen, und damit hat sich das.
Könnte die Gesundheitsministerin helfen?
Frau Fischer müsste Pauschalen für Abtreibungen festlegen. Aber dieses Gesetz ist zustimmungspflichtig. Und die CDU-regierten Länder wollen das nicht. Ich habe mir den Mund fusselig geredet, dass die Gesundheitsminister der Länder wenigstens mal einen Abtreibungsarzt anhören. Aber die sind so arrogant und ignorant wie der Bewertungsausschuss.
Interview: ANNETTE ROGALLA
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen