regierungserklärung: EINE BLANKE ZUMUTUNG
Bundestagsdebatten, wie die gestrige zur Wirtschaftspolitik, fördern die viel beschworene Politikverdrossenheit. Die peinliche Schönfärberei der Regierung und die überzogene Schwarzmalerei der Opposition – wer sollte sich so etwas freiwillig anhören?
Jeder informierte Mensch weiß, dass einfach nicht stimmt, was Bundeskanzler Schröder behauptet: Die wirtschaftliche Lage sei „glanzvoll“, auch im Osten sei alles prima und der Rückgang der Arbeitslosenzahl „sichtbarer Erfolg“ seiner Regierung. Der Exportmotor läuft, weil der Euro schwach ist, und das ist wirklich kein Verdienst Schröders.
Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen hat mehrere Gründe: Einerseits gehen mehr Ältere in Rente, als Junge auf den Arbeitsmarkt kommen. Andererseits wurden, jedenfalls im Westen, einige neue Arbeitsplätze geschaffen.
Merz hat mit seiner Kritik an Schröder also gleichzeitig Recht und Unrecht. Überzogen ist sein Schluss, die Bundesregierung habe wirtschaftspolitisch keinerlei Erfolge vorzuweisen. Doch für differenzierte Betrachtungen ist bei Bundestagsdebatten drei Tage vor einer Landtagswahl kein Platz. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten Glück gehabt – und einige richtige Weichen gestellt. Die Steuerreform wird den BürgerInnen mehr Geld in der Tasche lassen und die Konjunktur ankurbeln. Prima. Trotzdem stimmt, dass die Wohlhabenderen von der Reform mehr profitieren als Arbeitslose, Rentner und Sozialhilfeempfänger. Eichel baut die Staatsschulden ab und sorgt damit für niedrige Zinsen. In Ordnung. Aber was soll das Gefeilsche um die Wachstumsraten?
Von „qualititivem statt quantitativem Wachstum“ redet niemand mehr – auch die Grünen nicht. Stattdessen lassen sie sich von der Union vorführen. Und Finanzminister Eichel verspricht, im nächsten Jahr werde das Wachstum in Deutschland höher sein als in den Vereinigten Staaten. PDS-Fraktionschef Gysi ertappte Schröder gestern bei einem schweren Lapsus. Im Osten gebe es nicht so viele Ausbildungsbetriebe „wie bei uns“, hatte der Kanzler verkündet. Wir im Westen – ihr im Osten.
Die Bundesregierung hat den Ernst der Lage offenbar noch nicht erkannt. Wenn die Arbeitslosigkeit im Osten weiter steigt, wird die Kluft zum Westen immer größer. Die Stimmung ist im Osten bei vielen geradezu aggressiv. Bundestagsdebatten wie die gestrige tragen ihren Teil dazu bei. TINA STADLMAYER
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