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Der Hunger nach Krieg

Äthiopiens Regierung weiß aus der Offensive gegen Eritrea Profit zu schlagen. Inzwischen aber auch aus dem Hunger im eigenen Land

aus Addis AbebaPETER BÖHM

Der zentrale Meskal-Platz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hieß zu sozialistischen Zeiten noch Revolutionsplatz. Auf der Bühne, wo früher die sozialistischen Militärs bei ihren Jubelfeiern standen, sprach am Montag der Bürgermeister von Addis Abeba vor 200.000 Menschen, in Lastwagen und Bussen zusammengekarrt zu einer spontan von der Regierung organisierten Demonstration.

Addis Abeba war schon am frühen Morgen zum Klang von Lautsprecherparolen erwacht, am Vorabend hatten die staatlichen Medien schon zur Demonstration aufgerufen. Die Leute versammelten sich am Büro ihres lokalen „Kebelle“, der kleinsten Verwaltungseinheit. In Betrieben, Schulen und Amtsstuben wurden ihnen Plakate in die Hand gedrückt. Auf Englisch, das die wenigsten von ihnen verstehen, stand darauf: „USA und GB, Schluss mit eurer Doppelmoral“. Die Gruppen marschierten singend zum Meskal-Platz. Wie wenig spontan das war, ist jedem klar: In Addis Abeba würde niemand wagen, unaufgefordert zu demonstrieren. Und so genossen die Leute sichtlich die Gefühlsaufwallung, die von der wenig beliebten Regierung auf den Feind nach außen gelenkt wurde.

Während und nach der großen Kundgebung kam es vor der US- und der britischen Botschaft zu Ausschreitungen, in der Stadt wurde jeder bedrängt, der ein Amerikaner hätte sein können. Ein kenianischer Journalist wurde durch einen Steinwurf verletzt, der taz-Korrespondent mit einem Plakat auf den Kopf geschlagen und von jugendlichen Demonstranten mit „Fuck Clinton!“ beschimpft.

Bisher hielten sich die USA für einen Freund der äthiopischen Regierung. Beide Länder hielten jahrelang gemeinsame Manöver ab. Schon um die islamistische Regierung des Sudan in Schach zu halten, sahen die USA in Äthiopiens Ministerpräsident Zenawi einen Hoffnungsträger. Und heute? „Die äthiopische Regierung betrachtet jeden als Feind, der nicht zu 100 Prozent die äthiopische Position vertritt“, sagen zwei westliche Diplomaten unabhängig voneinander.

Die Armee hat Oberwasser

Die harte Linie Äthiopiens fällt dem Land umso leichter, da die äthiopische Armee im Augenblick Oberwasser hat. Montagnacht zeigte das staatliche Fernsehen Bilder von überrannten eritreischen Schützengräben an der westlichen Mereb-Front. „Durch die koordinierten Bemühungen der heroischen äthiopischen Streitkräfte werden eritreische Truppen angegriffen und vernichtet“, meldete das Büro der Regierungssprecherin. Unabhängige Quellen bestätigen, dass Äthiopien über die umstrittenen Grenzgebiete hinaus ein Vorstoß in den Westen Eritreas gelungen ist. Kritik an der äthiopischen Politik wird von der Regierung nahezu hysterisch beantwortet – etwa die Frage, ob ein Land mit mehreren Millionen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesenen Menschen eine Million US-Dollar täglich für Krieg ausgeben sollte.

Das Land ist seit Jahren ein privilegierter Empfänger internationaler Nahrungsmittelhilfe. Dieses Jahr wurde seine Bitte von fast einer Million Tonnen Hilfe im Vergleich zu anderen Ländern in Rekordzeit zugesagt. Vergleichsweise arme Länder wie Tunesien flogen Getreide ein. Die USA schenken Äthiopien in diesem Jahr fast 500.000 Tonnen Getreide. Die UNO lässt den Hafen von Dschibuti vergrößern und die Straße von dort nach Addis Abbeba ausbauen. Trotzdem erklärt die staatliche äthiopische Katastrophen-Verhütungskommission (DPPC), die Geberreaktion sei „sehr schwach“ und „ungenügend“ gewesen. Die von lokalen Medien verbreitete Zahl von 10,5 statt bisher acht Millionen vom Hunger bedrohten Menschen – das wäre fast jeder fünfte Äthiopier – wollte die für die Verteilung der Hilfe zuständige staatliche Stelle nicht bestätigen. Der Zustand dieser zusätzlichen 2,5 Millionen Menschen müsse nur sehr genau beobachtet werden.

Inzwischen lässt sich bei den Hilfsorganisationen deutliche Frustration feststellen. Viele halten schon die Zahl von acht Millionen Hilfsbedürftigen für übertrieben, obwohl das niemand laut sagt, weil die Möglichkeit real ist, des Landes verwiesen zu werden. „Als ich das im Dezember hörte“, sagt ein Sprecher einer großen Hilfsorganisation zu der umstrittenen Zahl, „dachte ich schon: O je, die haben ja Wahlen.“ Auffällig ist tatsächlich, dass diese acht Millionen Menschen nach DPPC-Angaben schön auf alle Regionen des Landes mit den verschiedensten Klimabedingungen verteilt sind.

Nahrungsmittel gegen Stimmen

Auch einer der wenigen ernst zu nehmenden Oppositionspolitiker in Äthiopien, der Biologieprofessor Bayane Petros, sagt: „Die massive Hilfsaktion wurde von der Regierung dazu benutzt, um sich Popularität zu erkaufen.“ Schließlich waren am Sonntag Wahlen. In der Region seiner Partei, im Süden, sei seinen Anhängern Hilfe verweigert worden. Ähnliche Berichte gibt es aus anderen Regionen. „Am liebsten würde die äthiopische Regierung natürlich an jeden Nahrungsmittelhilfe verteilen“, sagt ein anderer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Und der stellvertretende Delegationsleiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Addis Abeba, Toon Vandenhove, sagt in Bezug auf die Ogaden-Region, wo die Bilder von abgemagerten Menschen Europa zum Spenden brachten: „Viele vergessen, dass so eine Hilfsaktion neben der Rettung von Menschenleben auch eine Vielzahl negativer Folgen mit sich bringt. Einmal begonnen, hat sie die Tendenz, sich endlos fortzusetzen.“ Das IKRK hat um Gode, der am schlimmsten betroffenen Region, eine Untersuchung durchgeführt. Das DPPC verteilte dort Nahrungsmittel, aber nicht nur an die Not leidende Bevölkerung. Jeder bekam monatlich drei Kilogramm Getreide, egal ob er noch 200 Kühe oder keine mehr hatte. Das DPPC sagt, in der Somaliregion seien 1,3 Millionen Menschen hilfsbedürftig. „Das kommentiere ich nicht“, sagt Vandenhove. „Wir versorgen nur 160.000 Menschen.“

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