: Vorbeugen statt reparieren
Gesundheitsförderung setzt sich allmählich auch in Deutschland als wissenschaftliche Fachdisziplin durch
von MARTIN KALUZA
Vorbeugen, das würden wir alle unterschreiben, ist besser als Heilen. Die Geister scheiden sich freilich spätestens an der Frage, wie weit vorbeugende Maßnahmen Privatsache sind oder ob die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden sollten.
Jede präventiv investierte Mark, beteuern die Verfechter von Gesundheitsförderung, habe einen dreifach höheren Gesundheitswert als eine, die für Behandlungen ausgegeben werde. Andererseits ist schon das Geld für Behandlungen knapp. Während in Debatten um die Gesundheitsreform gestritten wird, ob Raucherentwöhnung, Ernährungsberatungen und Kurse zur Bewältigung von Scheidungen von den Kassen bezahlt werden sollen, beschäftigen sich Gesundheitswissenschaftler mit Fragen nach den sozialen Zusammenhängen.
1986 wurde in Kanada von der Ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung die Ottawa-Charta verabschiedet. Ottawa und die nachfolgenden Konferenzen haben dabei Leitlinien zur Gestaltung von Gesundheitseinrichtungen gegeben, die zunächst recht abstrakt aussehen: Stichworte wie „gesundheitsförderliche Lebenswelten“ und „soziale Gesundheitsverantwortung“ fallen, Strukturfragen werden erörtert, Armut wird als eins der Hauptübel ausgemacht.
In diesem Bereich ist der Studiengang Psychosoziale Prävention und Gesundheitsförderung angesiedelt, den die FU schon 1984 eingerichtet hat. Um die 40 Plätze können sich Studenten bewerben, die bereits Medizin, Soziologie, Psychologie oder Sozialarbeit mindestens mit einer Zwei abgeschlossen haben. „Wir untersuchen zum Beispiel, warum die Kinder in Zehlendorf von Vorsorgekampagnen besser erreicht werden als die in sozial schwächeren Stadtteilen“, erklärt Studienkoordinator Burkhard Gusy den Ansatz des Studiengangs.
In Zusammenarbeit mit den Plan- und Leitstellen feilen die Studenten dann an Präventionskonzepten für bestimmte Zielgruppen. Andere werden beispielsweise in Gesundheitszirkeln zu Moderatoren ausgebildet, in denen Angestellte Probleme mit ihrer Arbeit auf den Tisch bringen. Die Absolventen landen etwa im Management von Kliniken, im öffentlichen Gesundheitsdienst, in Ministerien, bei Behörden oder Krankenkassen.
Deutschlandweit gibt es inzwischen neun Graduiertenstudiengänge Public Health und mehr als hundert Angebote in Ergänzungs- und Aufbaustudiengängen. Doch damit, so schrieb kürzlich der Freiburger Arzt und Wissenschaftsjournalist Werner Bartens, stehe Deutschland im internationalen Vergleich nicht besonders gut da. Durch die Verstrickung der Medizin in Nazi-Verbrechen und den düsteren Begriff der „Volksgesundheit“ abgeschreckt, habe Deutschland nach dem Krieg den Anschluss verpasst und die Tradition der Sozialhygiene abreißen lassen.
Doch auch wenn es mit der Finanzierung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung nicht besonders gut aussieht, könnte sich mittelfristig ein Sinneswandel bei den Beteiligten des Gesundheitswesens abzeichnen. Prävention hätte in der Folge von Ottawa ein stärkeres Gewicht in Deutschland als noch vor zehn Jahren, meint Gusy: „Viele Leute fragen sich zwar, warum die Veränderungen nach solchen Chartas so lange auf sich warten lassen. Aber durch die inzwischen ja nicht mehr ganz so neuen Studiengänge gelangen nach und nach Leute mit einem neuen Bewusstsein ins Gesundheitssystem, die zu einer kritischen Masse werden.“
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