: Ein Leben im Bleakhaus
Anfang der Neunziger sorgte Scott Bradfield mit Romanen über die Kehrseiten des American Way of Life für Aufsehen. In den letzten Jahren aber wurde es still um ihn, „personal trouble“ hielt Bradfield vom Schreiben ab. Eine Begegnung mit dem amerikanischen Schriftsteller
von KOLJA MENSING
Das letzte Mal hatte man vor fünf Jahren von ihm gehört. 1995 erschien Scott Bradfields Roman „Planet der Tiere“, kurz danach noch eine Sammlung mit Kurzgeschichten. Dann nichts mehr. Scott Bradfield hatte aufgehört zu schreiben.
Donnerstagabend, in Berlin. Scott Bradfield sitzt im Wintergarten des Literarischen Colloquiums. Warum er so lange nichts geschrieben hat? „Personal trouble“, sagt er. Draußen regnet es, der Himmel über dem Wannsee ist grau. Scott Bradfield überlegt. Dann erklärt er. Er benutzt komplizierte juristische Fachausdrücke, die man auch auf Deutsch nicht verstehen würde. Dann sagt er: „Vielleicht sollten Sie schreiben, dass ich die letzten Jahre in Bleakhaus verbracht habe.“
„Bleakhaus“ ist ein Roman von Charles Dickens, in dem es um einen endlos verschleppten Familienprozess geht. Ein Dickens-Thema. Und genau so etwas hat Scott Bradfield, der einen kleinen Sohn hat, gerade hinter sich. „Personal trouble“, der sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem englischen Scheidungsrecht ausgeweitet hat: Der Schriftsteller Scott Bradfield war als Anwalt in eigener Sache unterwegs. Keine Zeit zum Schreiben, höchstens mal ein bisschen Arbeit an einem Drehbuch oder an einer Rezension. An einen Roman war nicht zu denken. Die Schlacht ist fürs Erste geschlagen, erst einmal durchatmen also, in Berlin. Scott Bradfield hat zwei Monate als Gastautor im LCB gewohnt – und gearbeitet: „Tut mir Leid, aber wenn ich schreibe, kann ich definitiv überhaupt nicht darüber reden“, sagt Scott Bradfield und sieht sehr zufrieden aus. Er ist anscheinend froh darüber, dass es wieder etwas gibt, worüber er nicht reden kann: einen angefangenen Roman. Von Berlin hat er darum auch noch nicht viel gesehen, obwohl er sich gleich zwei Reiseführer mitgebracht hat: Savignyplatz („schön“), Osten („interessant“), das A-Trane („gestern Abend, toller Pianist“).
Das ist nett. Man hat ja das Gefühl, dass man sich in Deutschland, wenn man über Literatur redet, auch immer gleich über Berlin unterhalten muss. Das LCB ist daran nicht ganz unschuldig: In den 80er-Jahren hat es mit Senatsgeldern deutsche Autoren nach Berlin gelockt. Aus ein paar Monaten im Gästehaus am Wannsee wurden in vielen Fällen ein paar Jahre in Kreuzberg oder Schöneberg, und so entstand das Lieblingsgenre der so genannten jungen deutschen Literatur: der Berlinroman. Und jetzt sitzt dieser 45-jährige Schriftsteller im LCB – und hat es erstens noch nicht einmal bis zu den Mauerresten geschafft, kann sich zweitens nicht erinnern, wann er das letzte Mal ein deutsches Buch gelesen hat, und hat drittens auch keine Meinung zum Thema staatliche Kulturförderung: „Mir ist das total egal. Hauptsache, es gibt für Autoren die Möglichkeit, mal zu schreiben, ohne an eine andere Arbeit zu denken.“ Einer der Mitarbeiter des LCB kommt an den Tisch: „Scott, möchten Sie etwas trinken?“ – „Ein Bier wäre prima.“
Scott Bradfield wuchs in den USA auf, in Kalifornien. Anfang der 80er-Jahre zog er dann nach London und schrieb Romane. „Die Geschichte der leuchtenden Bewegung“ und „Was läuft schief mit Amerika“ erzählten davon, wie man an der Freiheit, die der American Way of Life verspricht, verrückt werden kann: Ein Land läuft Amok, irgendwo zwischen dem verfassungmäßig garantierten Recht auf Waffenbesitz, 120 Fernsehkanälen und unzähligen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. In „Planet der Tiere“, seinem letzten Roman, schrieb Scott Bradfield dann über eine gründlich durchamerikanisierte Welt – eine an Orwells „Farm der Tiere“ angelehnte Parodie auf die Globalisierung.
In Amerika wollte diese Bücher nie jemand so richtig lesen: „Erfreulicherweise hatte ich in Deutschland Erfolg“, sagt Scott Bradfield. Seine Lieblingsfigur ist Charlie, der Rabe aus „Planet der Tiere“, ein trauriger, einsamer Idealist. „Wahrscheinlich bin ich auch ein Idealist. Ich träume davon, ich selbst zu sein und gleichzeitig über mich hinauszuwachsen“, sagt Scott Bradfield, um dann schnell wieder auf seinen ganz besonderen Roman zu kommen, seinen Lebensroman. Bleakhaus. Nächste Woche fliegt er wieder nach London. Es sei ja doch noch so viel zu tun, unter anderem eine Klage gegen den englischen Staat: „Aber ich denke, ich kann dort jetzt auch wieder schreiben.“
Es hat aufgehört zu regnen, der Fotograf macht noch ein Foto draußen auf der Terrasse. Scott Bradfield steht für einen Moment verlegen vor dem Wannsee herum, in kurzen Hosen, einem grauen T-Shirt, die Haut noch ganz weiß vom Londoner Winter. „Sorry, ich habe so etwas lange nicht mehr gemacht“, sagt er zum Fotografen.
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