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Politischer Feinsinn

Der russische PEN-Vorsitzende Bitow hat das Thema Tschetschenien beim internationalen PEN-Kongress in Moskau nicht erwähnt. Bewusst

„Der Westen und Russland, das sind nicht Mann und Frau, die zusammenleben und wieder auseinander gehen – oder nur eine kurze Affäre haben.“ So orakelte Andrej Bitow in seiner Eröffnungsrede des internationalen PEN-Kongresses in Moskau. Mit dieser Themenwahl enttäuschte der feinsinnige und taktisch versierte Romancier, der dem russischen PEN-Club vorsteht, die Erwartungen der Schriftstellergemeinde. Denn er verlor kein Wort über den Vernichtungsfeldzug in Tschetschenien. Stattdessen verlegte er sich auf das ewig quälende Thema: der Westen und Russland und die Pathologie dieser unglücklichen Beziehung.

Doch obwohl er den Krieg in seiner Rede aussparte: Bitow gehört nicht zu den vielen russischen Apologeten des Kaukasus-Gemetzels. Vielmehr sieht er die PEN-Konferenz durchaus als ein subtiles politisches Zeichen: „Wenn ein Land einen schädlichen Krieg führt, wenn im Land Ordnung geschaffen werden soll mit administrativen Mitteln, die wir an eigener Haut erfahren haben, dann ist es besonders wichtig, den Kongress hier abzuhalten“, verteidigte Bitow die Einladung noch letzte Woche gegen den Versuch westlicher Kollegen, das Symposium zu boykottieren.

Der Druck auf den russischen PEN-Club seitens des neuen Präsidenten Putin muss in den letzten Tagen erheblich gewesen sein. Es sollte verhindert werdem, dass der Kongress zu einer antiimperailistischen Menschenrechtsveranstaltung vor den Toren des Kreml ausartet. Ein leichtes Spiel für die PEN-Verantwortlichen, zwischen den moralisch empörten westlichen Kollegen und der drohenden administrativen Knute des Kreml die Balance und die Gesprächsfähigkeit zu wahren.

Auch der PEN-Club selbst war sich uneins. Einige, gerade im Westen bekannte Schriftsteller wie Wiktor Jerofejew, beklagten sich „über die politische Einfärbung“ des Kongresses. Der ehemalige Sowjet-Dissident und jetzige PEN-Vertreter der USA, Wassili Aksenow, gab zu Protokoll, der Tschetschenienkrieg sei der erste gerechte Krieg, den Russland seit fünfzig Jahren führe. Ein Seitenhieb gegen den berühmtesten Gast, Günter Grass. „Grass liebt es, durch seine Teilnahme derartige Veranstaltungen zu politisieren“, stichelte der gesetzte Immigrant. Grass hatte das Übliche gesagt, aufrecht und ehrlich.

Russland und Europa? Ein permanentes Missverständnis – nun auch zwischen den Vertretern der atmosphärischen Erkenntnis. Insofern lag Bitow mit seiner Rede richtig, offensichtlich war nur das Auditorium falsch gewählt. KLAUS-HELGE  DONATH

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