piwik no script img

Meer der Intoleranz?

■ Sechs Wochen lang präsentiert das Kino 46 heißblütige Filme aus Mittelmeerländern

Paul Bowles, Albert Camus, Paul Burroughs, Allen Ginsberg: Horden von Europäern und Amerikanern überfluteten einst den Maghreb, um dort ihre Befreiung, charakterlich, sexuell und überhaupt, zu inszenieren – naja, finanzielle Gründe hatte es bei den kirchmausarmen Künstlern meistens auch. In „Ein Sommer in La Goulette“ dagegen erlebt der europäische Betrachter Tunesien nicht als Land unbegrenzter Möglichkeiten. Unter glücklicher Sonne regiert Prüderie und eine Doppelmoral, die hierzulande nur allzu bekannt ist, allerdings zum Glück eher aus längst abgehakten Jahrtausenden.

Im Badeort La Goulette leben drei Familien nebeneinander, und zwar einträchtig, obwohl die ein jüdisch, die zweite christlich, die dritte muslimisch ist. Die Daddys vergnügen sich königlich beim Kartenspiel am Strand oder in der Kneipe; und die Mammis haben ihren ganz speziellen Jux beim Vergleichen der diversen Geliebten ihrer Ehemänner; doch als die Töchter auch mal erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht suchen und das auch noch über die religösen Grenzen hinweg, ist das Heulen und Zähneknirschen groß. Die lus-tigen Daddys mutieren auf einmal zu floskelspuckenden Tugendwächtern, und überhaupt schneidet die versammelte Männerwelt in diesem Film verdammt mies ab: Sowohl die Greise als auch die Halbwüchsigen veranstalten seltsame Zappeleien, um die Damen heimlich beim Duschen zu belauschen, so echt alttestamentarisch wie Susanna im Bade. Die Mütter dagegen sind verständnisvoll, die Töchter cool und selbstbestimmt: Manchmal sind eben alberne Klischees nötig um noch viel albernere eingefleischte paternalistische Traditionen zu brechen. Politisch unbeschwert ignoriert man die Spannungen in Palästina. Schließlich ist der Besuch der gebürtigen La Gouletterin Claudia Cardenale viel spannender als die läppische Frage um Krieg oder Frieden. Erst der Abspann des Films klärt auf, dass man sich im Jahr 1967 befindet, kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg, und dass dieser Krieg endgültig Schluss machen wird mit der ethnischen Toleranz. Die meisten Juden und Christen werden das Land verlassen.

Dieser Film von Ferid Boughedir wird den Auftakt der Reihe „Mediterran. Eine filmische Reise ums Mittelmeer“ bilden. Die Verleihsituation für Filme unserer (fast) unmittelbaren Nachbarländer ist derart mau, dass die Crew des Kino 46 oft keine Wahl hatte, sondern den einzig greifbaren guten Film aus Ägypten, Griechenland, Portugal etc. ins Programm nahm. An einen roten Faden, etwa das Meer als filmische Metapher, war dabei natürlich nicht zu denken. Umso erstaunlicher, dass religiöse bzw. ethnische Konflikte in immerhin sechs von zwölf Filmen eine nicht unerhebliche Rolle spielen, eben nicht nur im jugoslawischen und türkischen Beitrag: Das Mittelmeer ist mehr als unser liebstes Bräunungsstudio. Trotz des drängenden Themas Intoleranz: Thematisch wie formal liegen die Filme denkbar weit auseinander. Mal geht es um den mittelalterlichen Philosophen Averroes, mal um Gedächtnisverlust, jugendliche Lethargie, den ausgestorbenen Beruf des Feldhüters, Bankräuber, Generation X, eben alles. Das einzig verbindende ist die brütende Sonne, die es einem Publikum mit Werdersand zwischen den Zehen und Sonnenöl im Ohr leicht machen soll, den dunklen, frostigen Kinosaal zu betreten. bk

La Goulette: 1.-3.6. 20.30h; „Reise zur Sonne“ zum Verschweigen der Kurdenproblematik in der Türkei 1.-3.6. 18.30h

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen