piwik no script img

Das Riesenspielzeug

Seine Ausgangslage war und ist nahezu unvergleichlich, weil sich die größten Namen der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte noch immer mit seinem Namen verbinden. Nun entlässt S. Fischer fünfundvierzig Mitarbeiter. Beinahe jeder Vierte muss gehen, und der Verlag macht irgendwie weiter

von ELKE SCHMITTER

Monika Schoeller ist die Tochter von Georg von Holtzbrinck. Wenn man vor 26 Jahren einen Artikel über den S. Fischer Verlag mit diesem Satz begonnen hätte, wäre das nur angemessen gewesen: denn damals beerbten die drei Kinder des ehemaligen Druckunternehmers Georg von Holtzbrinck ihren Vater, und von den Unternehmen fiel die Verantwortung für den S. Fischer Verlag an seine Tochter Monika.

Dass man heute noch einen Artikel über den S. Fischer Verlag mit diesem Satz beginnen muss, ist nur in trauriger Weise angemessen: denn erstens ist der Verlag in seiner größten Krise seit Bestehen, und zweitens hat diese Krise mit diesem verwandtschaftlichen Verhältnis auf das Notwendigste zu tun.

Am vergangenen Donnerstag wurde den MitarbeiterInnen des Verlages mitgeteilt, dass 45 Personen ihre Beschäftigung „verlieren“, das ist beinahe jeder vierte Angestellte. Es wird einen Sozialplan geben, das ist gesetzlich so vorgesehen, und wen es schließlich treffen wird, weiß von den Betroffenen noch niemand. Es gibt Verhandlungen mit dem Betriebsrat, es gibt Umstrukturierungspläne, und am Ende wird es auf die komplizierte und trostlose Melange von Begründungen hinauslaufen, die in solche Fällen üblich ist: Alter, Betriebszugehörigkeit, soziale Belastungen der Einzelnen, Leistungsfähigkeit und das Schicksal der Abteilung insgesamt. S. Fischer hat sich von der Beratungsfirma McKinsey durchleuchten und beraten lassen, und aus deren Einschätzungen und aus der schieren Not zieht man nun Konsequenzen: Verluste seit 1998 von etwa 15 Millionen Mark sind schließlich keine Kleinigkeit.

Und sind es andererseits doch. Eine Holding wie die von Holtzbrinck ist von einer Zahl wie dieser nicht zu erschüttern; in einer Branche, in der Millionen und Abermillionen jährlich investiert werden müssen, um Zeitungen wie Die Zeit und den Tagesspiegel zu irgendwann rentablen Unternehmen zu machen, ist ein Bilanzverlust dieser Größe ein Anlass zum Stirnrunzeln, aber kein Grund zur Panik. Entscheidend ist die Einschätzung, wie die Verluste zustande kommen. Da gibt das Management selbst Auskunft: „Dass wir heute in Schwierigkeiten sind“, gibt Monika Schoeller bekannt, „hat kaum etwas damit zu tun, was wir machen, aber sehr viel damit, wie wir es machen.“ Das nennt man Missmanagement.

Und das gibt es nicht erst seit zwei Jahren. Die beachtliche Zahl von Geschäftsführern, die im S. Fischer Verlag allein in den letzten 15 Jahren wirksam waren, gibt darüber schlichteste Auskunft: Einen erfolgreichen Geschäftsführer entlässt man nicht. Jedoch ist sie auch Symptom dafür, dass etwas ganz Grunddsätzliches nicht stimmt. Denn eine Verlegerpersönlichkeit kann sich auf verschiedene Weisen verstehen: Sie kann, wie damals Samuel Fischer selbst, wie Ledig Maria Rowohlt und bis heute Siegfried Unseld, als Unternehmer wirken, mit Charisma, literarischem Gespür und ausgeprägtem Sinn für die Geschäfte. Sie kann sich auf literarische Vorlieben beschränken, einzelne Projekte fördern und im übrigen präsidieren – so hat Monika Schoeller lange Zeit gewirkt. Aber dann muss sie die richtigen Leute finden, die ihr alles andere abnehmen – und sie dann machen lassen. Daran hat es gefehlt.

So entstand schließlich eine langfristige Blockade, die sich den Besitzverhältnissen verdankt und sich jetzt in ganzer Schärfe zeigt: Monika Schoeller wirkt als Geschäftsführerin und Drittel-Eigentümerin in einer Person. Weder sie noch ihre Kollegen in der Geschäftsführung übernehmen Verantwortung für die Misswirtschaft in der üblichen und komfortablen Weise: Abfindung und tschüs. Letzteres gilt allein für die bald arbeitslosen fünfundvierzig, die ohne eine Abfindung, die ein heiteres Pensionärsdasein gestatten würde, irgendwo ein Unterkommen suchen müssen.

Natürlich ist in solchen Fällen – wie auch beim Schlingern des Rowohlt-Verlages, der ebenfalls zur Holtzbrinck-Gruppe gehört – auch immer vom Strukturwandel die Rede. Das Geschäft ist objektiv härter geworden, die Umschlagszeiten kürzer, die Lizenzgebühren höher. Allerdings trifft dieser Strukturwandel eher die kleinen Verlage – wie Wagenbach, Kunstmann, Nautilus und Wallstein: Verlage, die den neuen Grisham oder King weder kaufen noch in Hunderterpartien in die Buchhandlungen drücken, die ihre Autoren weder zu Biolek schicken noch flächendeckend bewerben können. Wenn sie es trotzdem schaffen, dann aufgrund einer besonderen Ressource: und die heißt Geist.

Womit wir schon beim zweiten Übel wären: Liest man das so genannte Manifest des S. Fischer Verlages, mit dem Monika Schoeller sich selbst an die Spitze der neuen Bewegung setzt, sieht man wenig Anlass zur Hoffnung. „Optimierung von Sercie und Logistik“, „professionelles Zeilgruppenmarketing“, „Bündelung von Marketing-Kompetenzen“ – das ist die Leerlaufprosa von Betriebswirtschaftlern, hinter der sich, wenn es gut geht, eine Intelligenz versteckt, die Tiefkühlerbsen, Mittelklassewagen oder Computerprogramme verkaufen kann. EinVerlag braucht mehr. „Dem Publikum neue Werte aufzudrängen, die es nicht will, ist die wichtigste und schönste Mission des Verlegers“, sagte Samuel Fischer selig. Die Erbin seines Hauses gibt bekannt: „Ziel der S. Fischer Verlage ist es, die Bedürfnisse ihrer Kunden genau zu treffen.“ Das ist eben nur für Tiefkühlerbsen richtig – ach was, nicht einmal mehr da: Aber wo bei Konsumgütern erfolgreiches Marketing sich darin erschöpfen darf, Bedürfnisse zu wecken, die es bisher nicht gab, muss ein Verlag noch mehr tun: er muss latente Bedürfnisse entdecken – neue Ideen, originäre Sprachen; kurz: er muss Avantgarden bilden.

Der S. Fischer Verlag hat lange von den Avantgarden seiner Gründerzeit gelebt, und die Bilanz sähe erheblich schlechter aus, wären nicht nur die Weltrechte für Kafka, sondern auch die für Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, für Thomas Mann und Familie schon abgelaufen. Man kann ausrechnen, wann es soweit ist – nämlich jeweils 70 Jahre nach dem Todesdatum –, aber das konnte man auch schon in den vergangenen zwanzig Jahren, in denen die phänomenalen und nicht planbaren Umsätze mit Garfield, Hera Lind und anderen Kulturträgern das Schlimmste immer wieder abgewendet haben. Bei dem Namen Kafka allerdings denkt der gebildete Leser inzwischen an Stroemfeld/ Roter Stern, bei Arno Schmidt an Reemtsma und Haffmans: Selbst das ererbte Kapital hat der Verlag nicht zu erwerben verstanden. Seine Ausgangslage war und ist nahezu unvergleichlich, weil sich die größten Namen der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte noch immer mit dem Namen S. Fischer verbinden. Jedoch seit viel zu langer Zeit ist keine Bewegung mehr nachgekommen: Die europäische und amerikanische Moderne liest man nun einmal anderswo, und von der neuen deutschen Literatur ist bei S. Fischer nicht viel zu sehen. Das Jubiläumsprogramm zum 100-jährigen Bestehen, 1986, in sanftes Gelb gefasst und mit pompösem Aufwand inszeniert, war eine gigantische Pleite – schon damals hätte man sehen können, dass die Strategie des Verlages, seine Klassiker von Hoffmannsthal bis Freud in Erhabenheit und Aspik zu präsentieren, „die Bedürfnisse der Kunden“ nicht einmal mehr ungenau trifft. Monika Maron, Wolfgang Hilbig und Judith Hermann sind Schwalben ohne Sommer, weil es dem Verlag nicht gelingt, eine eigene Atmosphäre zu schaffen – und dazu braucht es Geist, und den haben nur Menschen. „Die Ansprüche der S. Fischer Verlage können nur aufgrund der Qualifikationen und der dauerhaften Loyalität der Mitarbeiter eingelöst werden“, heißt es im Manifest. Für letztere sind die Voraussetzungen natürlich äußerst günstig!

Es ist ein trauriges Kapitel deutscher Unternehmensgeschichte, das gerade in Frankfurt am Main geschrieben wird. Es erinnert an Chamissos Ballade von der Tochter eines Riesen, die einen Bauern mit Pferd und Pflug als Spielzeug mit nach Hause bringt. Aber der Vater ist unerbittlich: „Wo du es hergenommen, da trag es wieder hin / Der Bauer ist kein Spielzeug, was kommt dir in den Sinn.“ Das Kapitel S. Fischer ist in Prosa geschrieben und nimmt keine gute Wendung. Sein erster und einstweilen letzter Satz: Monika Schoeller ist die Tochter von Georg von Holtzbrinck.

Hinweise:Einen erfolgreichen Geschäftsführer entlässt man nichtNatürlich ist in solchen Fällen immer von Strukturwandel die Rede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen