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Big Brother is watching in Bayern

Regensburg startet ein Pilotprojekt zur polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze. In fast allen Bundesländern arbeiten die Parteien an solchen Projekten und an neuen Polizeigesetzen. Auch das Bundesdatenschutzgesetz wird novelliert

aus Regensburg KONRAD LISCHKA

In Singapur überwachte die Polizei eine Familie per Videokamera, weil die ihren Müll aus dem Fenster geworfen hatte. Wer das am Regensburger Domplatz vorhat, sollte nun auch aufpassen: Seit gestern beobachtet die Polizei über Kameras der Verkehrsbetriebe sieben öffentliche Plätze und Straßen der Stadt. Das Pilotprojekt soll laut bayerischem Innenministerium zeigen, ob Videoüberwachung demnächst als Mittel ins Polizeigesetz aufgenommen wird.

Anfang Mai erklärte die Innenministerkonferenz das uniformierte Spannen einhellig zum „geeigneten Mittel, um die Bürger wirksamer vor Straftaten zu schützen“. Während der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Joachim Jacob, noch eine gesellschaftspolitische Diskussion und bundesweite Rahmengesetzgebung fordert, arbeiten in den Ländern Parteien aller Farben an Überwachungs-Pilotprojekten – und neuen Polizeigesetzten.

In Sachsen-Anhalt will die von der PDS geduldete SPD-Regierung noch vor der Sommerpause eine neues Polizeigesetz mit offener Videoüberwachung als Standardmittel verabschieden. Der parlamentarische PDS-Geschäftsführer Wulf Galler erklärte das so: „Wir tun alles, damit das Land nicht im Chaos versinkt.“ Grüne und SPD haben in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich Überwachungs-Pilotprojekten zugestimmt. Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) will bis Jahresende ein Gesetzt mit dem erklärten Ziel der Videoüberwachung öffentlicher Plätze verabschieden. Langsam, aber sicher klopft in Baden-Württemberg CDU-Innenminister Thomas Schäuble die FDP für ein neues Polizeigesetz weich. Und in Brandenburg muss Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) nur noch die SPD-Koalitionäre herumkriegen. Insgesamt werden in Deutschland bereits 400.000 Kameras vermutet – allerdings können diese noch nicht zentral ausgewertet werden. Die Kontrollmonitore verteilen sich auf private Sicherheitsdienste, Polizeizentralen, Verkehrsleitstellen. Bei Pilotprojekten wie in Regensburg kann die Polizei ohne besondere Gesetzgebung auf Kameras von Kooperationspartnern – zum Beispiel der Bahn oder derVerkehrsüberwachung – zurückgreifen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Jacob sprach schon vor einem Jahr von „rechtlichen Grauzonen“. Diese sollen nun durch eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes beseitigt werden.

Die Datenschutzbeauftragten der Länder verlangen seit langem eine Rahmengesetzgebung. Sie fordern eine Hinweispflicht auf Überwachung, Zulässigkeit nur an „Kriminalitätsschwerpunkten“ und kurze Fristen, nach denen Aufzeichnungen zu löschen sind. Die Bestimmungen sollen ihrer Meinung nach auch in die Musterfassung der Landespolizeigesetze aufgenommen werden.

Regulierungsbedarf besteht aber nicht nur bei der Beobachtung öffentlicher Plätze, sondern auch beim Kaufhaus um die Ecke. Hier hat der Eigentümer Hausrecht und kann ungehemmt beobachten. Bei der Münchener Polizei dachte man bereits laut über „Sicherheitspartnerschaften“, also den Zugriff auf private Kameras, nach.

Nötig ist die Regelung, weil heute marktübliche Kameras hochauflösende, zoom- und schwenkbar Bilder liefern. Heute wird zum Beispiel die Stadt London fast flächendeckend überwacht. Als im April 1999 die britische TV-Moderatorin Jill Dando erschossen wurde, konnte man ihren Tagesablauf durchgehend mit Hilfe von Videos rekonstruieren – vom Einkaufsbummel bis zur Fahrt nach Hause.

In Zukunft wird noch mehr gehen: An der Universität Leeds wird eine Software entwickelt, die automatisch „verdächtiges“ von „normalem“ Verhalten unterscheiden soll. Einen Dieb erkennt der Computer also schon, bevor er klaut – am Gang. „PersonSpotter“, ist an der Ruhr- Universität Bochum und University of Southern California entwickeltes Gesichtserkennungsprogramm. Es vergleicht Videobilder mit einer Datenbank und identifiziert jede Person, die darin gespeichert ist.

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