: Ungeliebte Vorschläge eines Renegaten
■ Ein einziger Bremerhavener Sozialdemokrat sagt, dass der kilometerlange Containerhaven nicht ins Naturschutzgebiet erweitert werden muss / Ein Ortstermin an der Stromkaje
Der Sozialdemokrat Wilfried Töpfer steht am äußersten Südende des Containerhavens. Vor ihm das Wasser. Neben ihm einer von insgesamt 17 Kränen zum Entladen der Schiffe, die hier in Bremerhaven festmachen. Zehn Millionen-Mark kostet so ein Dock-Kran. „Da hinten habe ich als Kind noch gebadet“, sagt Töpfer und zeigt in Richtung Schleuse. Ein kleiner Strand sei da gewesen, an dem die Bremerhavener Gören sich vergnügten, nach dem Krieg. Längst sieht man nur noch Beton, da wo der Strand war. Trotz der schönen Erinnerung steht der Bürgerschaftsabgeordnete Wilfried Töpfer zu dem gigantischen Hafenkomplex – was hat Bremerhaven auch sonst?
Riesenpötte liegen neben kleinen Schiffen, Container werden in quirligem Betrieb auf- und abgeladen. Eine schnurgrade Wasserkante von 2,7 Kilometer Länge zieht sich von Töpfers Standort Richtung Norden. Kurz vor dem Dorf Weddewarden bricht die Stromkaje abrupt ab. Dann ist da nur noch das Watt. Vogel- und Naturbestand sind dort einzigartig, sagen Naturschützer. Die Umwelt muss der ökonomischen Notwendigkeit eines längeren Hafens weichen, sagt die großkoalitionäre Mehrheit. Vor Weddewarden sollen weitere 800 Meter Hafenkante gebaut werden – CT IV heißt das Projekt. Containerterminal IV.
Seit den sechziger Jahren ist der Hafen, beginnend dort, wo der kleine Sandstrand war, beständig gen Norden gewachsen. Dem Containerterminal I folgten Nummer II und Nummer III. Jetzt kommt Nummer IIIa – und damit steht man direkt vor Weddewarden. Die Stromkaje in Bremerhaven ist die längste auf der Welt. Jetzt will die große Koalition zeigen, dass sie noch eine längere haben kann.
Wilfried Töpfer ist ein Renegat. Seine gesammelten SPD-Genossen in der Bürgerschaft befürworten den Ausbau des CT IV ins Watt hinein, direkt vor Weddewarden. Die CDU sowieso. Nur Töpfer. Der sagt: Es geht auch anders. In Bremerhaven macht er mit solchen Aussagen keine Punkte. Aber Töpfer fühlt sich an das Wort eines SPD-Manns gebunden, das der Bevölkerung von Weddewarden mitten auf dem Deich gegeben wurde. „Am Grauwallkanal ist Schluss“ hatte Häfensenator Konrad Kunick Anfang der 90er Jahre getönt: Hinter dem kleinen Rinnsal, der ins Watt fließt, stehen die ersten Häuser des 700-köpfigen Dorfes Weddewarden.
Töpfer hat noch weitere Argumente auf Lager, warum die Kaje nicht verlängert werden soll. Natur- und Lärmschutz, Koalitionsversprechen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Transportprognosen, Ausbaukosten – Töpfer fragen, Töpfer antwortet. Der ganze Keller des 54-jährigen computerlosen Mannes soll voll sein mit Archivmaterial zum Thema Hafen. „Ich sage nicht einfach nein“, wehrt sich Töpfer gegen den Vorwurf, ein Technik - und Wirtschaftsfeind zu sein. „Ich habe eigene Vorschläge“.
Die Alternativ-Vorschläge Töpfers sind in Bremerhaven seit letztem Herbst bekannt. Durch Optimierung der Hafenfläche könnten weitere 1.000 Meter Anlegefläche entstehen, argumentiert er. An der Kaje direkt an der Weser soll es keinen Meter ungenutzte Fläche mehr geben. Hinter der Schleuse, wo ja weitere Häfen liegen, bestehe ebenfalls die Möglichkeit, ungenutzte Flächen auszubauen. Detailliert rechnet Töpfer vor, wo er wie viele Meter nutzbare Fläche gefunden hat.
Der besondere Clou an seinen Ideen ist ein Dock-Terminal: ein Hafenbecken, von der Weser aus direkt erreichbar, da wo gerade der CT IIIa entsteht. Der Vorteil: In so einer Einfahrt könnten die Schiffe von zwei Seiten gleichzeitig gelöscht werden und nicht, wie derzeit möglich, nur von einer. Auch in Amsterdam ist so eine Konstruktion geplant. Wenn man alle Ideen seines „optimierten Kajennutzungs- und Ausbaukonzepts“ zusammenzählt, argumentiert Töpfer, ist der CT IV nicht nötig.
Beliebt sind seine Ideen nicht: weder bei den Hafenbetreibern, noch bei der Politikerriege, noch bei der heimischen Presse. Nur die engagierten Weddewardener halten zu ihm. Erstaunlich, wie beharrlich Töpfer dennoch an seinen Ideen festhält und so langsam Gefahr läuft, das Image eines Starrnackens zu bekommen: denn Töpfer ist Polit-Profi. Seit dem 3. November 1975 ist er Abgeordneter in der Bürgerschaft. Auf 25 Jahre Abgeordnetendasein bringt es in der SPD sonst keiner, nur in der CDU halten Bernd Ravens und Helmut Pflugrad mit.
Immerhin nimmt man ihn ernst genug, um sich mit seinen Vorschlägen auseinander zu setzen – schließlich wird die Europäische Union den Ausbauplänen ins Watt nur zustimmen, wenn alle anderen Alternativen ausscheiden. Töpfer könnte in Brüssel ernster genommen werden als zu Hause. Deshalb müssen seine Argumente vom Tisch.
Der Leiter des Hansestadt Bremischen Hafenamtes, Hinrich Gravert, ist mit Töpfer auf Du. An Töpfers Konzept lässt Gravert dennoch kein gutes Haar. Die 200 Meter an der Stromkaje seien aus technischen Gründen nicht auszubauen. In den Häfen hinter der Schleuse sei der Ausbau vor allem deshalb keine gute Idee, weil dann mehr Schiffe warten müssten, bis sie die Schleuse passieren können – und Zeit ist Geld für die Reeder.
Gegen die Idee eines Dock-Terminals listet Gravert gleich zehn Argumente auf – fast alle technischer Natur. Hauptproblem: Große Schiffe müssten sich quer zur starken Strömung stellen, um in die Einfahrt einfahren zu können. Ein gefährliches Manöver. Argumentative Schützenhilfe bekommt er auch vom Geschäftsführer des Hafenbetreibers Eurogate, Michael Ippich. „Ich bezweifle, dass wir so mehr Umsatz machen könnten“, sagt er. Weddewarden, „das kleine freundliche gallische Dorf“, könne mit einem Hafen vor der Haustür vermutlich besser leben, als es die derzeitigen Ängste vor Lärm und Naturverlust glauben machen.
Auf jedes Gegenargument hat Töpfer ein Gegen-Gegenargument parat, Expertisen und Aussagen von anderen Fachleuten. Was, wenn ein weiterer Hafen an der Nordseeküste entsteht, wie geplant? Hält der Trend zum Containerverkehr auf alle Zeit an? „Ich bleibe auch nach den Ausführungen von Herrn Gravert dabei, dass meine Vorschläge eine echte Alternative sind“, sagt Töpfer. Jetzt steht er am nördlichen Zipfel der kilometerlangen Stromkaje und schaut hinüber nach Weddewarden. Acht Meter unter ihm spielt ein Vater mit seinem Sohn im Sand. Vielleicht erinnert ihn das an seine eigene Kindheit an der Schleuse.
Christoph Dowe
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