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Die alte neue Ökonomie

Bei der Konferenz „Modernes Regieren im 21. Jahrhundert“ wollen sich 14 Staats- und Regierungschef an die Spitze der Internet-Gesellschaft stellen. Sie reklamieren das Neue, doch dabei setzen sie die Politik ihrer konservativen Vorgänger fort

von Hannes Koch

US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Gerhard Schröder haben Glück. Die Wirtschaft floriert. In den USA hält der Boom seit zehn Jahren an – und will nicht abreißen. Auch in Deutschland zeigen die Kurven der Wirtschaftsforscher mittlerweile aufwärts. Eine gute Gelegenheit für Staatsoberhäupter und Regierungschefs, den Erfolg für sich zu reklamieren. Denn die eigenen Taten im Lichte des ökonomischen Aufschwungs heller erstrahlen zu lassen, ist der eigentliche Sinne der Konferenz „Modernes Regieren im 21. Jahrhundert“. Auf Einladung von Bundeskanzler Schröder treffen sich am Samstag 14 Staats- und Regierungschefs in Berlin.

Der Begriff der „Neuen Ökonomie“ spielt dabei eine zentrale Rolle – birgt er doch vielfältige Vorteile. Er bündelt die Branchen Telekommunikation, Internet und Finanzdienstleistungen zu einem Konzept mit visionärem Anspruch. Er nährt die Hoffnung, alte Probleme wie Arbeitslosigkeit würden mit neuen Mitteln gelöst. Und schließlich erweckt die Idee der „New Economy“ den Eindruck, als hätten die Konferenzteilnehmer sie sich selbst ausgedacht.

Das Gegenteil ist richtig. Vieles an der neuen Ökonomie ist alt – älter, als die Protagonisten von heute wahrhaben wollen. Wenn 35 verschiedene Zeitschriften vornehmlich Tipps für Alltagsaktionäre geben, Internet-Firmen innerhalb weniger Monate an der Börse Milliarden Mark wert werden und damit zum gesellschaftlichen Leitbild einer neuen Gründerzeit avancieren, lautet die Botschaft: „Auf deinen Unternehmergeist kommt es an.“ Das war schon der Inhalt der geistig-moralischen Wende, die Helmut Kohl beim Regierungswechsel 1982 propagierte: Wer sich auf den Staat und die Solidarität der Gesellschaft verlässt, ist zunehmend verlassen. Am Anfang standen politische Bestrebungen wie zum Beispiel die Privatisierung: der Rausschmiss Hundertausender Beschäftigter aus der staatlichen Verantwortung. Die Post wurde privatisiert, die Telekom, die Bahn. Wo früher Beamte am Auskunftsschalter dämmerten, plappern sich heute schlecht bezahlte Honorarkräfte in Call-Centers Fransen an die Münder. Wie in den USA Ronald Reagans und im Großbritannien Magret Thatchers wurde auch in der BRD Helmut Kohls ein moderner Kompromiss zwischen staatlichem Eigentum und privatwirtschaftlicher Effizienz erst gar nicht ausprobiert. Ausschließliche private Verfügung über Arbeitsplätze und Kapital macht angeblich alles besser.

So schufen die konservativen Regierungen den lebensweltlichen Resonanzboden einer neuen ökonomischen Praxis und Einstellung. Die Botschaft lautet: „Wer ranklotzt, kann profitieren.“ Wer das nicht will oder kann, den lässt die neoliberale Gesellschaft im unteren Drittel der sozialen Hierarchie hängen.

Von der Seite der Unternehmer markierte die Ideologie des „Shareholder-Value“, der Orientierung auf steigende Aktienkurse, ein verschärftes Tempo. Anfang der Achtzigerjahre fielen wegen zu geringen Wachstums, als zu hoch erachteter Löhne und Steuerbelastung und des angeblich zu teuren Sozialsystems die Firmengewinne in den Augen vieler Vorstände eher mager aus. Die Besitzer der Firmen, die Aktionäre oder „Shareholder“, so die vulgäre Verbrämung, erhielten zu wenig für ihr Geld.

Das sollte sich ändern. Mit der Änderung des Streikparagrafen im Arbeitsrecht bekamen die Gewerkschaften eins zwischen die Hörner. Ergebnis: Es wird deutlich weniger gestreikt, was den Unternehmern mehr Möglichkeiten gibt, Löhne und Arbeitsbedingungen einem Downcycling zu unterwerfen. Zurückhaltung der Gewerkschaften bei Lohnforderungen, Kürzung der Arbeitslosenunterstützung, Reduzierung der Unternehmens- und Spitzensteuern – all das gehört zur Deregulierung der alten Arbeits- und Wirtschaftsverfassung, die mit den Firmengewinnen auch die Kurse an den Börsen steigen läßt. Dank hoher Aktienkurse sprudelt nun der Geldquell, ohne den die neuen Internet- und Software-Betriebe keine zwei Wochen überleben würden.

Ähnlich alt wie die neue Ökonomie erscheint das Versprechen, das die Konferenz am Samstag verbreitet: Die Welt könne sich auf „beispiellosen Wohlstand“ freuen. Die beiden konservativen Dekaden zeigten, was man davon zu halten hat. Die drei reichsten Personen weltweit besitzen inzwischen so viel Geld wie die 48 ärmsten Staaten mit ihren 588 Millionen Menschen. Die zunehmend ungleiche Verteilung von Einkommen und Reichtum auch innerhalb moderner Staaten wie den USA, lässt sich von der neuen Ökonomie nicht trennen. Die in Berlin versammelten Regierungschef machen nicht den Eindruck, als wollten sie daran etwas ändern.

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