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Putin will unter Clintons Schirm

Der russische Präsident kann sich Mitbauen am neuen US-Raketenabwehrsystem vorstellen. Erwartungen an Moskauer Gipfel bleiben aber gedämpft

aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Am liebsten hätte Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem US-Kollegen Bill Clinton gar nicht über die von den USA gewünschte Änderung des ABM-Vertrags zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen gesprochen. Dann wurde der Komplex auf russischen Wunsch wenigstens ans Ende der Themenliste rangiert. Und gestern schließlich fiel Wladimir Putin eine neue, originelle Antwort auf das amerikanische Anliegen ein.

Die USA wollen den Kreml zu Neuverhandlungen über den ABM-Vertrag von 1972 bewegen, weil das von ihnen geplante nationale NMD-Raketenabwehrsystem mit dem alten Abkommen nicht vereinbar ist. Mit dem NMD-Projekt wollen sich die USA gegen Raketenangriffe so genannter „Schurkenstaaten“ wie Nordkorea, den Iran oder den Irak unverwundbar machen.

Hier ein ein Angebot ...

Anstatt dieses Vorhaben brüsk zu blockieren und damit eine einseitige Kündigung des ABM-Vertrags durch die USA zu riskieren, bietet Putin jetzt dem Gast den gemeinsamen Bau eines Raketenschutzschirms an. Er geht damit auf Clintons Offerte zu Beginn seiner Europatournee in Lissabon ein, die Raketenabwehrtechnologie mit Verbündeten und anderen „zivilisierten“ Staaten zu teilen. Und stellt Clinton zugleich auf den Prüfstand: Aus Moskauer diplomatischen Kreisen verlautet, man werde aus Clintons Antwort auf Putins Vorschlag jedenfalls auf die „tatsächlichen Pläne der USA“ schließen können. Vorsichtig äußerte ein hoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums, eine derartige Zusammenarbeit mit Moskau sei immerhin nicht auszuschließen.

Bislang lehnten russische Sicherheitsexperten das NMD-Projekt ab, weil sie zu Recht befürchten, das nukleare Gleichgewicht werde dadurch zerstört. Überdies ist das russische Raketenarsenal eines der letzten Insignien, die noch an Moskaus Gewicht als Supermacht erinnern.

Die an den Clinton-Besuch geknüpften amerikanischen Hoffnungen sind jedenfalls eher bescheiden. US-Außenministerin Madeleine Albright sagte, es gehe darum, „Missverständnisse aufzuklären, eine gemeinsame Basis zu schaffen und eine konfrontative Atmosphäre zu vermeiden, die eine Einigung in noch weitere Ferne rücken würde“. Was die politische Ausrichtung Putins betrifft, gab sich Albright eher vorsichtig. Es sei zu früh für ein Urteil.

Mit anderen Worten: Clinton begibt sich in Moskau auf die Suche nach dem wahren Putin. Der Kreml-Chef muss auf seinem ersten Gipfel deutliche Signale an die heimische Adresse senden. Schließlich gilt es zu beweisen, dass er die nationalen Interessen Russlands nicht nur erkannt hat, sondern sie im Unterschied zum Vorgänger Boris Jelzin, dem Schwäche gegenüber dem Westen vorgeworfen wurde, auch hartnäckig verfolgt und durchsetzt. Der neue Refrain der russisch-amerikanischen Beziehungen, so der russische US-Experte Wiktor Kremenjuk, könnte lauten: „Auch wenn es dem Westen nicht passt, er muss damit leben.“ Moskaus gleichgültige Haltung gegenüber der westlichen Kritik am Tschetschenienkrieg hat das deutlich werden lassen. Dennoch wird Putin natürlich bemüht sein, den Eindruck eines verlässlichen Partners zu erwecken.

... Geld spielt keine Rolle!

Die Zeiten warmherziger Männerfreundschaft sind passé. Desgleichen wird dieser Gipfel zeigen, dass Moskau die Rolle des Schülers in Sachen Demokratie und Marktwirtschaft abgestreift hat. Früher reisten die Amerikaner als externe Prüfungskommission an und ließen sich referieren, was der Examenskandidat geleistet hatte. Danach entschied die Jury über die weitere Vergabe von IWF-Krediten. Moskau lege großen Wert darauf, mit dieser Praxis zu brechen, sagte der wirtschaftsliberale Berater Putins Andrej Illarionow. Erstmals geht es auf einem Gipfel nicht auch ums Geld. Moskau verweist seit einiger Zeit demonstrativ darauf, dass es keine Finanzspritzen mehr benötige. Zudem möchte Putin gar nicht erst in den Geruch kommen, Geld gegen Einfluss zu handeln.

Im Unterschied zum strittigen Rüstungskomplex glauben die Russen, in Wirtschaftsfragen mit den Amerikanern eher eine gemeinsame Sprache zu finden. Auf der Tagesordnung stehen die Aufnahmebedingungen Russlands in die Welthandelsorganisation (WHO) und ein bilaterales Investitionsabkommen sowie ein der Duma vorliegendes Gesetzespaket gegen Geldwäsche.

Sensationen stehen am Wochenende nicht an. Indes könnte noch etwas Spannung aufkommen, falls Clinton das Moskauer Forum nutzt, um Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien zu verurteilen und den Kreml öffentlich zu fragen, wer Interesse daran haben könnte, der russischen Presse wieder einen Maulkorb anzulegen.

Was wird Putin antworten? Auch wenn es euch nicht passt, ihr müsst damit leben ...?

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