: Stau der besonderen Art
Mit über 30.000 Fahrradfahrern bei der traditionellen Sternfahrt des ADFC und etwa 100.000 Besuchern auf Deutschlands größtem Ökofest war der gestrige autofreie Sonntag ein voller Erfolg
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Autofahrer hatten gestern in großen Teilen der Stadt nichts zu melden. Auf der Magistrale vom Großen Stern zum Alexanderplatz roch es statt nach Auspuffgasen nach Schweiß, Bratwurst, Crêpes und Caipirinha. An der traditionellen Sternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, die auf 13 Routen in die Innenstadt führte, beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter und der Polizei zwischen 30.000 und 40.000 Fahrradfahrer. Im vergangenen Jahr waren es 25.000, die die Innenstadt in Beschlag nahmen.
Während auf dem 17. Juni entspanntes Fahren angesagt war, kam es Unter den Linden zu regelrechten Staus von Fahrradfahrern und Fußgängern. Der Grund war ein von der Grünen Liga Berlin zum sechsten Mal organisierter Ökomarkt. Mit über 140 Ständen war es der größte Ökomarkt, den es bisher in Deutschland gab. Von Kräutern, Mosten, Ziegenkäse, geräucherten Forellen und Rinderhack vom Bauernhof bis hin zu einem Holzkarussell mit Handbetrieb war so ziemlich alles dabei, was Öko zu bieten hat. Nach Angaben der Grünen Liga kamen zu dem ersten freiwilligen autofreien Sonntag, nimmt man Fahrradfahrer und Festbesucher zusammen, etwa 150.000 Menschen. „Ein voller Erfolg“, freute sich der Berliner Geschäftsführer, Leif Miller, „die Stadt nimmt den autofreien Sonntag an.“
Trotz weiträumiger Sperrungen waren in der Innenstadt kaum genervte Autofahrer zu sehen. Weil das Hotel Adlon den Taxi-Stand zum Hinterausgang verlegt hatte, mussten nicht einmal Touristen Umwege in Kauf nehmen. Dominant waren glückliche und entspannte Gesichter von Fahrradfahrern und Skatern mit freier Fahrt. Nur manch Fußgänger fühlte sich im Nachteil, wenn er ein Fahrradpedal in die Hacken bekam. „Mich stört, dass ich als Fußgänger angeklingelt werde – von Radfahrern!“, klagte ein 59-jähriger Berliner, der seinem Onkel aus München die Stadt zeigte. „Es soll doch ein Miteinander sein.“ Trotz des günstigen BVG-Angebotes von 3,90 Mark für den ganzen Tag war er mit dem Auto gekommen. „Das ist auch mit Benzinerhöhung billiger.“ Bis zum Ende des Straßenfestes wollten die beiden aber nicht bleiben. Zum „Formel 1“-Gucken wollten sie wieder zu Hause sein.
Erstmals beteiligte sich an der Sternfahrt mit Peter Strieder (SPD) auch ein Umweltsenator. Unter dem Motto „Autofrei – Spaß dabei“ hatte er an die Vernunft der Berliner appelliert, das Auto stehen zu lassen. Während die Aktion bei vielen Radfahrern Hoffnung auf eine weniger autoorientierte Verkehrspolitik weckte, zeigten sich Vertreter aus Strieders Verwaltung pessimistisch. Der Leiter des Luftgütemessnetzes, Hans-Jürgen Abraham, der trotz seines Urlaubs mit einem Mess-Mobil vor Ort war, sagte gegenüber der taz: „Ich verspreche mir gar nichts von der Aktion. Kaum einer wird das Auto stehen lassen.“ Als Grund nannte er die hohen BVG-Kosten. Und auch der Senator will es sich nicht ganz mit den Autofahrern verscherzen. Am Freitag startete Strieder ein einmaliges Sofortprogramm von zehn Millionen Mark zur Reparatur von Straßenschäden – für Auto- und Fahrradfahrer, wie er betonte.
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