: „Die Alten meinen, wir bringen es nicht“
Die jungen grünen Abgeordneten strampeln sich ab und werden den hohen Erwartungen doch nicht gerecht
Der Druck ist groß. Die jungen grünen Nachwuchspolitiker sehen sich ein halbes Jahr nach ihrem Einzug ins Parlament hohen Erwartungen ausgesetzt. „Die Alten werfen uns vor, wir bringen es nicht“, gibt Jeannette Martins (32) die Kritik der Altparlamentarier ganz unverblümt wieder.
Der Druck kommt nicht von ungefähr. Die grüne Fraktion ist im Herbst auf 18 Abgeordnete geschrumpft. Nach der Wahlschlappe hat die Partei den Ostteil der Stadt und die Jugend als ihre Problemzonen ausgemacht. Die Zeiten, in denen die Grünen die Jugend repräsentierten, sind passé. Jetzt wird verstärkt darüber nachgedacht, wie die Partei wieder den Draht zur Jugend finden kann (siehe Kasten). Doch in die Überlegungen über den innerparteilichen Generationswechsel mischen sich auch skeptische Töne. „Jung sein ist keine Qualität an sich“, sagt Verkehrsexperte Michael Cramer. Der 51-Jährige, der dem Parlament seit 11 Jahren angehört, mahnt: „Wir reden über Ostquote, Neuenquote, Jugendquote und vergessen, dass es um Qualität geht. Und der Hauptkonflikt ist gerade die Qualität.“
In den letzten Monaten war es unübersehbar: Die neue grüne Fraktion hat noch nicht Tritt gefasst. Bei den vielen Einzelthemen ist keine klare Linie zu erkennen, ein Gesamtkonzept fehlt. Und immer öfter hat die größere Oppositionspartei PDS die Nase vorn.
An den Parlamentsneulingen und den Jungabgeordneten allein liegt dies nicht. Bei den altgedienten Abgeordneten sitzt der Frust über den Absturz auf 9,9 Prozent tief. Weitere fünf Jahre Opposition gegen eine Große Koalition – das ist keine inspirierende Perspektive.
In dieser Situation wird dem Nachwuchs nur ein knapper Zeitrahmen zur Einarbeitung zugebilligt. Schnell sollen die Jungen in ihrem Fachgebiet sattelfest sein und in den Medien gut rüberkommen – aus dieser Fraktion muss sich schließlich die Führungsspitze für den nächsten Wahlkampf herauskristallisieren. „Wer Wolfgang Wieland als Fraktionschef beerben will, muss rethorisch an ihn herankommen,“ sagt Cramer. Er räumt allerdings ein, dass er selbst zwei Jahre brauchte, um sich im Parlamentsbetrieb ein gutes standing zu erarbeiten.
Der Druck, der auf der Generation der 30-Jährigen lastet, führt teilweise zur Selbstblockade. Auf die Frage, warum die 30- bis 35-Jährigen so wenig das öffentliche Bild der Grüne prägen, antwortet Martins: „Weil sich viele nicht zutrauen, gegen die alten Kämpen anzutreten, weil die so kompetent sind.“ Doch gibt es auch Ausnahmen: Landesvorstandssprecher Andreas Schulze übernahm sein Amt im Juli 1997 mit 33 Jahren. Landesgeschäftsführerin Kirsten Böttner ist ebenfalls erst Mitte 30. Beide sind unangefochten.
Der Nachwuchs der Fraktion musste sich jüngst allerdings Kritik gefallen lassen. Die jüngeren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Martins und Lisa Paus (31) füllten ihre Rolle noch nicht aus, so der Vorwurf auf einer Fraktionssitzung. Und auch Özcan Mutlu (32) und Burkhard Müller-Schoenau (42) könnten ihre Vorgängerinnen Sibylle Volkholz und Michaele Schreyer in der Bildungs- und Finanzpolitik noch nicht voll ersetzen.
Martins, die dem Parlament schon in der vorigen Legislaturperiode angehörte, kontert: „Die Älteren sollen mal konkrete Erwartungen formulieren.“ Nach ihren Vorstellungen sollen die gestandenen Abgeordneten den Neuen Orientierungshilfe geben. Die Jungparlamentarier müssten sich aber auch stärker gegenseitig unterstützen.
Sie hat selbst schon versucht, 20- bis 27-jährige Nachwuchstalente unter ihre Fittiche zu nehmen. Einer ist allerdings schon wieder abgesprungen, abgeschreckt von endlosen Sitzungen der Bezirksgruppe Pankow und vom Protokollführen bis Mitternacht. „Bei den Grünen bleibt nur, wer viel Sitzfleisch hat.“
DOROTHEE WINDEN
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