: Bremer Alltagsfaschismus
■ 20 polnische Zwangsarbeiter, die in der Nazizeit in Bremen arbeiten mussten, besuchen uns / Schlimmer als die Arbeitgeber waren oft die normalen Bremer auf der Straße
Am kommenden Sonntag wird eine Gruppe von 20 früheren polnischen Zwangsarbeitern nach Bremen kommen. Betriebe wie die Bremer Wollkämmerei (BWK) und die Dasa (ehemals Focke-Wulf) werden die Polen besuchen, in einem Fall auch einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Betriebe würden sich inzwischen sehr offen zeigen, wenn derartiger „Besuch“ angemeldet wird, meinte der Vorsitzende des „Vereins Zwangsarbeit e.V.“, der Leiter des Staatsarchivs Hartmut Müller.
Aus den Akten des Staatsarchiv ergibt sich dabei der Eindruck, dass die Zwangsarbeiter mehr von der „normalen“ Bremer Bevölkerung drangsaliert wurden als von ihren Arbeitgebern. Während die Betriebe nämlich oftmals großes Interesse hatten, dass „ihre“ Zwangsarbeiter arbeitsfähig und motiviert waren, hatte die Bremer Bevölkerung offenbar wenig Verständnis für die menschlichen Lebensäußerungen und die fremden Worte der Ausländer. In den Eingaben an den Innensenator beschwerten sich immer wieder Bremer über die Ausländer. Dieser „Alltagsfaschismus von Bremern“, so Müller, hat vielfach in den Akten nachvollziehbare Verschärfungen der Lebensbedingungen nach sich gezogen.
Zum Beispiel beschwerte sich der Schornsteinfeger Karl Sonnewald aus Blumenthal, dass am Abend des 13.5.1941 vier Polinnen nebeneinander von der Arbeit ihm entgegenkamen. Er „als deutscher Handwerksmeister“ habe sich „nicht veranlasst“ gesehen, „den Polen den Bürgersteig zu räumen“. Er sei, berichtet Sonnewald, einfach weitergegangen – „woraufhin ich die Reihe der vier Polenmädchen durchbrach.“ Eine habe ihm „du dummer Deutscher“ nachgerufen, er hielt sie fest und wollte sie dafür zur Polizeiwache bringen. Da kamen aber 25 polnische Männer von der BWK ihm entgegen, es kam zu einer kleinen Rangelei.
Am 2. März 1942 verfügte der Bremer Innensenator, dass in Lesum Polen „auf den Fußwegen der öffentlichen Straßen höchstens zu zweien nebeneinander gehen“ dürften.
Am 17.6.1941 berichtete Gustav Lemke aus Warfleth dem Bremer Polizeipräsidenten, in Vegesack würden die Drogerien mit den Fotoarbeiten nicht nachkommen. „Teilweise dauert es zehn Tage und mehr“, bis bestellte Bilder kommen. Hier müsse „dämmend eingegriffen“ werden, denn schuld seien die Polen, „denen einfach keine Filme mehr zu verkaufen sind, denn was versteht ein derartiges Volk zweiter Klasse schon vom Film.“ Gustav Lemke: „Ich glaube, dass es genügen würde, wenn diese Leute sich hier hauptsächlich zum Arbeiten aufhalten und sich sonst ruhig verhalten würden“.
Der NSDAP-Kreisleiter Lesum, Hans-Werner Schwinning, berichtete am 5. Mai 1941 dem Bremer Innensenator, es gebe „ganz erhebliche Klagen“: Für „unsere deutschen Frauen“ sei es „eine unglaubliche Zumutung, sich auf den gleichen Stuhl setzen zu müssen und mit den gleichen Apparaten z.B. bei Dauerwellen“ bedient zu werden. Frauen müssten oft „stundenlang warten“, weil vor ihnen Polenmädchen in demselben Frisörsalon abgefertigt würden.
Der Bremer Innensenator verfügte: „Es kann keinem deutschen Volksgenossen zugemutet werden, sich längere Zeit zusammen mit Polen in einem Raum aufzuhalten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Polen erst dann abgefertigt werden, wenn keine deutschen Volksgenossen mehr warten.“ Und: Die Geschäfte in Lesum dürfen von Polen nur „während der Zeit von 8.30 bis 9.30 Uhr und von 16.30 bis 18 Uhr betreten“ werden.
Polnische Zwangsarbeiter durften selbstverständlich an keinem deutschen Fest teilnehmen, selbst in Gottesdienstens durften sie nicht polnische Lieder singen, „die Abnahme der Beichte in polnischer Sprache ist ebenfalls nicht gestattet“, verfügte der Bremer Innensenator.
Bis zu 10.000 Zwangsarbeiter haben in Bremen während der Nazi-Jahre gearbeitet und mussten hier leben. Alle Bremer profitierten von ihnen, denn mehr als 50 Prozent der Zwangsarbeiter arbeiteten in der Landwirtschaft. Das Nazi-Regime legte, solange es ging, Wert darauf, dass die Landwirtschaft gut mit Kräften versorgt wurde. Dies folgte aus der Erfahrung im ersten Weltkrieg, da hatte die schlechte Versorgungslage mit dazu geführt, dass die Moral an der „Heimatfront“ nach dem begeisterten Kriegsbeginn bald nachließ. „Man kann davon ausgehen, dass auf jedem deutschen Bauernhof Zwangsarbeiter waren“, sagt der Leiter des Staatsarchivs, Hartmut Müller. Ausgerechnet diese Zwangsarbeiter aus der Landwirtschaft werden aber nur in Ausnahmefällen erfasst von den Regelungen des Entschädigungsfonds.
Die deutsche Landwirtschaft beteiligt sich bisher übrigens mit genau null Mark an dem Entschädigungsfonds für die Zwangsarbeiter. K.W.
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