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Bibel der Senioren

Bertelsmann will den Verlag Reader’s Digest übernehmen. Denn der setzt mit seiner Zeitschrift „Das Beste“ seit 1948 auf konservativen Optimismus

von MARTIN PETERS

Attacke in Amerika: Bertelsmann befindet sich in informellen Übernahmegesprächen mit dem US-Medienunternhemen Reader’s Digest Association. Der Verlagsriese mit der noch immer auflagenstärksten Zeitschrift der Welt (in Deutschland unter dem programmatischen Titel Reader‘s Digest Das Beste) ist für den Gütersloher Medienkonzern wohl vor allem wegen seiner Notierung an der New Yorker Börse interessant, mit der die Bertelsmänner als Einkaufswährung auf die Jagd nach weiteren US-Firmen ziehen könnten.

„Es ehrt uns, dass beide Unternehem – Bertelsmann und Reader’s Digest – von den Börsenanalysten zusammengebracht werden“, kommentiert Das Beste-Anzeigendirektor Max J. Bieniussa: „Das sind aber reine Spekulationen, die traditionell von uns nicht kommentiert werden.“ Auch die zuständige Bertelsmann-Sprecherin Liz Young lehnte jeden Kommentar zu entsprechenden Berichten des US-Magazins Business Week ab.

Dabei war vor ein paar Wochen die Reader’s-Digest-Welt noch in Ordnung: Die Größe und spezielle Ausrichtung des US-Traditionsunternehmens mit Sitz in Pleasantville sei Garant für die seit 1922 verteidigte Unabhängigkeit von Reader’s Digest, Gefahren durch die gegenwärtige internationale Fusionswelle im Medienbereich wollten weder die US-Konzernführung noch derden deutsche Statthalter ausgemacht haben. „Wir sind die einzige wirklich globale Medienmarke der Welt“, verkündete damals Bieniussa.

Dass Größe allein nicht schützt, musste dagegen auch kürzlich Time Warner erfahren; Sas Traditionsunternehmen wurde kurzerhand vom Online-Riesen AOL aufgekauft. Jetzt scheint auch die Schonzeit für Reader’s Digest vorbei zu sein: Die Hatz lässt den Aktienkurs derzeit üppig steigen, rund sechs Milliarden Dollar, schätzen Analysten, müsste Bertelsmann für das Verlagshaus berappen.

Kernprodukt des Hauses ist bis heute die Zeitschrift Reader’s Digest, ein merkwürdig unaktuelles Sammelsurium aus „Artikeln von bleibendem Wert“, so ein früherer deutscher Werbeslogan für das Unikum der Pressebranche.

Denn von diesen Artikeln ist kaum einer exklusiv für das Blatt im Taschenbuchformat verfasst, vielmehr bietet der Digest eben einen Querschnitt durch vor allem US-amerikanische Zeitungen und Zeitschriften. In der deutschen Ausgabe finden sich aber auch Beiträge aus europäischen „Presseerzeugnissen“ – wie z.B. der französischen Tageszeitung Libération.

Reader‘s Digest erscheint weltweit in 19 Sprachen, nach Verlagsangaben erreichen die monatlich verkauften 27 Millionen Exemplare rund 100 Millionen Leser, in Deutschland wollen immerhin 1,1 Millionen Käufer Das Beste.

Der Startschuss fiel im Februar 1922: Damals brachten DeWitt „Witty“ Wallace und Lila Bell Acheson die ersten 5.000 Exemplare für 25 Cent pro Stück auf den Markt, ihr Erfolgskonzept: Evergreen-Themen, Leserservice und eine insgesamt konservativ-optimistische Sicht der Welt. Das Startkapital hatten sich beide zusammenschnorren müssen, der Erfolg kam zögerlich: Erst 1935 stieg die Auflage erstmals über eine Million, 1938 folgte in Großbritannien die erste Ausgabe außerhalb der USA.

Als im September 1948 Das Beste aus Reader’s Digest zum ersten Mal in Deutschland erschien, wurde es bald zur Pflichtlektüre des unteren Mittelstands: „Es war das Fenster zur Welt im Nachkriegsdeutschland, der Blick über den Tellerrand, mit Themenaktualität und etwas, was es bis dahin so noch nicht gegeben hatte: Service“, meint Bienussa zur Erfolgsstory – damals. Doch wer liest heute Das Beste?

„Unsere Kerngruppe sind die 45- bis 65-Jährigen, gern auch älter“, gibt der Anzeigenchef unumwunden zu, um im selben Atemzug das Zielgruppen-Dogma der Werbebranche zu untergraben: „Diese ‚Golden Buyers‘ sind extrem loyale Kunden. 70 Prozent von ihnen kaufen regelmäßig weitere Reader’s-Digest-Produkte, die ihnen im Heft angeboten werden“. Die Synergien blühen vor allem im Ratgebermarkt, außerdem beliefert der Verlag die Welt seit 1950 mit einer einzigartigen Erfindung: den Kurzfassungen großer Romane – von den Klassikern bis zum modernen Thriller. Doch das Unternehmen, das heute auch eine Reihe von Special-Interest-Titeln in den USA publiziert, geht auch mit der Zeit: Zusammen mit dem US-Network CBS will Reader’s Digest Fernsehprogramm produzieren, und auch im Internet ist der Konzern mit einer Vielzahl von Service-Angeboten präsent, vom Gesundheitsdienst WebMD bis zum Geschenk-Service Gifts.com.

Die Bertelsmann-Offerte dürfte so zentrales Thema auf der für den 11. Juli in Stuttgart anberaumten Sitzung von Verlag, Redaktion und Anzeigendirektion werden. Ursprünglich sollte hier das strategische Marketing von Das Beste im Mittelpunkt stehen, die Ausrichtung des Heftes als „Leitmedium der 45-plus-Generation“.

Und noch etwas wird – Übernahme hin oder her – in Stuttgart ganz oben auf der Tagesordnung stehen: Weil auch die älteren Generationen mitlerweile passabel Englisch können, soll Das Beste seinen Namen opfern. Und dann künftig wohl auch in deutschen Landen ganz schlicht Reader’s Digest heißen.

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