: Hilfe kommt post mortem
Nach dem Tod Adrianos: Kredite für die Witwe. Prügel für den besten Freund. Redezeit für die Honoratioren.
aus Dessau JENS RÜBSAM
Einer kommt noch, als alle anderen schon gegangen sind. Vor ihm liegen Blumen, Kränze, eine Schleife kündet von „Wut und Trauer“.
Der Mann, der am Freitagabend den Stadtpark zu Dessau betritt, als ihn das Dutzend Honoratioren und die 3.000 Bürger schon lange verlassen haben, nimmt eine Trommel zur Hand und beginnt sie zu schlagen. Langsam. Schnell. Schneller. Es ist, als soll sein Wirbel den Gegangenen in die Wohnstuben folgen.
Wenn ein Ausländer zu Tode kommt und die Täter eindeutig als Rechtsradikale identifiziert sind, verströmt das gute Deutschland gern „Trauer, Entsetzen, Abscheu und Bestürzung“. Dann wird die Sammelbüchse geschwenkt, ein Trauermarsch wird organisiert, bedeutungsvolle Reden werden gehalten. Was aber folgt den fremdenfeindlichen Übergriffen, über die sich in Dessau Tagebuch führen ließe? Wer sorgt sich um die lebenden Opfer?
Ins Koma geprügelt
Es geschieht in einer hoffnungslos ostdeutschen Nacht, die in Rostock so ist wie in Eggesin, in Guben wie in Hoyerswerda, in Eberswalde wie im anhaltinischen Dessau. Hier wird am frühen Morgen des Pfingstsonntags der Mosambikaner Alberto Adriano, 39, im städtischen Park von drei rechtsradikalen Jugendlichen ins Koma geprügelt. Drei Tage später stirbt er.
Sie skandieren durch die Dessauer Innenstadt: „Hier marschiert der Nationale Widerstand“. Sie brüllen beim Anblick des Schwarzafrikaners: „Was willst du in Deutschland?“ Sie malträtieren ihn mit Schlägen und mit Tritten. Dann reißen sie ihm die Kleider vom Leib wie Metzger, die einem Tier nach dem Schlachten die Haut abziehen. Dann martern sie ihn noch einmal. Ob sie sich beglückwünschen, ob sie weiter saufen, ob sie wieder „Sieg Heil“ grölen – das ist bislang nicht geklärt.
Was feststeht: Die Täter, zwei 16-Jährige und ein 24-Jähriger aus den Nachbarstädten Wolfen und Bad Liebenwerda, haben aus „Fremdenhass“, so ein Staatsanwalt, gehandelt. Die beiden jüngeren sind vorbestraft wegen wiederholter Propaganda für rechtsradikale Organisationen. Die Mutter des einen sagt einer Boulevardzeitung: „Das mit der Glatze und den Springerstiefeln hat mir nie gefallen, aber ich habe doch nicht geahnt, dass er Menschen überfallen würde.“ An der Haustür der Familie prangt eine 88, das Synonym für „Heil Hitler“, und auch Runen sind zu sehen.
Am Rande des Stadtparks, vor dem Hochhaus Willy-Lohmann-Straße 26, stehen die Dessauer. Eine Dame sagt: „Ich bin sprachlos und entsetzt.“ Ein Herr raunt: „Was geht mich denn der Schwarzafrikaner an?“ Oben, im dritten Stock, sitzt die Witwe Angelika Adriano, 43, im Arm den fünf Monate alten Gabriel, um sie herum zwei, die sich um Süßigkeiten balgen: Manuel, 3, und Belamino, 8, genannt Mino, beide zu jung, um zu verstehen, was passiert ist. Als der Älteste fragt, wo denn der Papa bleibt, kann ihm die Frau nur antworten: „Der Papa ist am Kopf verletzt worden, und dann ist er im Krankenhaus langsam eingeschlafen.“ „Aber der Papa war doch stark“, wundert sich Mino.
Eine Plattenbauwohnung wie so viele im Osten: braune Schrankwand, schwere Couch, mächtiger Fernseher, große Stereoanlage. Mittendrin ein kleiner Tisch, auf dem eine Kerze brennt und eine Rose vor einem Foto liegt. Auf dem Foto ein Mann im Anzug, etwas untersetzt, stark gewiss, ein Lachen im Gesicht. „Alberto musste sterben, weil er Afrikaner war“, sagt Angelika Adriano.
Auf dem Tisch eine Decke aus Mosambik. „25. Juni 1975: Unabhängigkeitstag der Republik“ steht darauf und die Worte „Freiheit“ und „Frieden“ sind zu lesen. In gut drei Wochen wollte Alberto Adriano nach Hause fliegen, nach langer Zeit und langem Sparen, das Ticket hatte er schon gekauft, die Geschenke schon eingepackt. „Nun fliegt er anders“, sagt seine Frau. „Es war sein Wunsch, in der Heimat beerdigt zu werden.“
Alberto Adriano: seit zwanzig Jahren in Deutschland, zu DDR-Zeiten Vertragsarbeiter in einem Plaste-Werk, in Wende-Zeiten verliebt, 1992 geheiratet. Er findet Arbeit in einem Fleischzentrum, seine Frau hangelt sich von ABM-Stelle zu 630-Mark-Job. Vor zwei Jahren ziehen sie nach Dessau. „Hier haben wir uns richtig wohl gefühlt.“
Im Nachbarhaus sitzt Veloso Augustinho, 37, Alberto Adrianos bester Freund, und sagt: „Deutschland kann für einen Schwarzafrikaner nie Heimat werden.“ Velosos Auge ist angeschwollen, eine Platzwunde ist zu sehen. „Das ist gestern Abend passiert, mitten in der Stadt. Es waren deutsche Jugendliche.“ Wer als Schwarzafrikaner heute in Deutschland sein Haus verlässt, riskiert sein Leben.
Die Statistik liest sich in Sachsen-Anhalt so beklemmend wie in Brandenburg wie in Mecklenburg-Vorpommern. Allein 1999 registrieren die anhaltinischen Staatsschützer 114 fremdenfeindliche Delikte. „Das Straftatenaufkommen ist weiter auf einem hohen, Besorgnis erregenden Niveau“, sagt Ende Mai der Innenminister bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes. Im nächsten wird Alberto Adriano Erwähnung finden: als erster Ausländer in Sachsen-Anhalt, der Todesopfer rassistischer Gewalt wurde. Zuvor hatte es zwei Punks getroffen.
Einträchtige Trauerreden
Die Scheinwerfer sind ausgerichtet, die Kameras in Position gebracht, die Posaunen erklingen. Dann halten an diesem frühen Freitagabend im Stadtpark zu Dessau die Notablen einträchtig Trauerreden. „Wenn der Geist der Springerstiefel Oberhand gewinnt, trifft es heute den Schwarzen, morgen den Homosexuellen und übermorgen den Liberalen“, sagt Marieluise Beck, die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. „Für Brutalität dieser Art gibt es keine Entschuldigung, weder den Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten noch auf psychologische Hintergründe“, sagt Reinhard Höppner, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Die Ermittlungen im Fall Adriano hat inzwischen der Generalbundesanwalt übernommen.
Die Scheinwerfer sind noch an-, die Kameras aber längst abgeschaltet, da meldet sich ein Schwarzafrikaner zu Wort. Hastig tritt er ans Mikrofon und überbringt „im Namen aller Flüchtlinge von Dessau“ den Anwesenden die Forderung: „Bringen Sie uns innerhalb einer Woche hier weg. Das Leben für Afrikaner ist im Osten nicht gut.“
Das Zeremoniell droht durcheinander zu geraten. Ein Bürger ruft: „Lübeck.“ Eine Bürgerin zischelt: „Die dealen doch alle.“ Eine Frau flüstert: „Der Herr Adriano war ein netter Mann, der hatte nichts mit Drogen zu tun.“ Der Ausländerbeauftragte wird später mitteilen: „Beamte von der Stadt haben zur mir gesagt: ‚Vielleicht suchten die Täter ja Drogen‘ “.
Wenn vom Stadtpark die Rede ist, bekommt der Dessauer einen flackernden Blick und eine deutliche Sprache: Die dealen, die haben Drogen, die Schwarzafrikaner. Der PDS-Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner sagt: „Der Ort ist von Politikern und Medien hochgeputscht worden nach dem Motto: Jeder, der eine dunkle Hautfarbe hat, ist ein Drogendealer. Damit wurde das politische Klima für diese Tat geschaffen.“
Es herrscht ein düsteres Klima in Ostdeutschland – auch in Sachsen-Anhalt, nicht erst seit Pfingstsonntag. Der Höhepunkt: 12,9 Prozent wählen 1998 die rechtsextremistische DVU in den Landtag. Die jüngsten Beispiele: In einem Dorf bei Staßfurt greifen Jugendliche, mit Baseballschlägern bewaffnet, die Gastfußballer einer iranischen Jungendmannschaft an. Im Internet wird die Seite eines Hallensers entdeckt, darauf ist zu lesen: „Man sollte mal ein paar Rote um die Ecke bringen.“ In der Kleinstadt Bernburg macht die örtliche CDU gegen ein Flüchtlingsheim mobil. „Dieser Alltagsrassismus ist es, der gefährlich ist“, sagt Matthias Gärtner.
Dessaus Ausländerbeauftragter Minhel hat ein Kinderbüchlein in seinem Büro liegen, Titel: „Papa, was ist ein Fremder?“ Oft hat er in letzter Zeit darin nachgelesen, um eine Antwort zu finden. „Papa, was ist eine Ausländerin?“, hatte seine Tochter wissen wollen, nachdem sie von einer Freundin im Kindergarten „Du-bist-eine-Ausländerin“ geneckt wurde. Razak Minhel, geboren im Irak, lebt seit 1976 in Dessau, er ist eingebürgert. „Aber“, sagt er, „ich werde immer Ausländer bleiben.“ Einer von 1.750 unter 80.000 Einwohnern in der Stadt.
Beamte demonstrieren ihre Macht
Ein buntes Haus in Dessau, das Multikulti-Zentrum in der Parkstraße 7. Gelb und blau außen, grün und rot innen. Seit Tagen weht ein schwarzes Laken an der Fassade, in weißer Schrift haben die Mitarbeiter anklagend notiert: „Warum musste Adriano sterben?“
Neuerdings kommen ins Multikulti-Zentrum sogar Menschen, die noch nie hier waren: Staatsdiener aus dem Rathaus und von der örtlichen Polizeidirektion – Wohlwollen und Handeln für den Ausländer erst post mortem?
Wenn der Ausländerbeauftragte Razak Minhel die städtischen Polizeibeamten, wie im vergangenen Jahr, zur „Woche des ausländischen Mitbürgers“ einlädt, rückt niemand aus.
Wenn an einem hellichten Tag im August vergangenen Jahres Polizeibeamte im Stadtpark ihre Macht demonstrieren, bei einer Drogen-Razzia einen Schwarzafrikaner zum Entkleiden auffordern, dieser „nackt und nur im Slip“ dasteht, dann „klatschen die Leute drumherum“, wie Razak Minhel es gesehen hat. Dann dauert es ein Jahr, um festzustellen, ob „ein Fehlverhalten von Polizisten vorliegt“, wie es ein Sprecher des Innenministeriums formuliert.
Wenn sich im Briefkasten einer kurdischen Familie ein Drohbrief findet: „He, Ihr Kanaken, macht, dass Ihr hier rauskommt. Ansonsten setze ich Euch eine Bombe ins Haus“, dann „kümmert das fast niemanden“, sagt Minhel.
Wenn in einem Jugendtreff eine schwarze Puppe verbrannt wird und in einem anderen Kampfhunde abgerichtet werden, dann „nehmen das staatliche Stellen einfach nicht zur Kenntnis“, sagt eine Stadträtin.
Wenn der Kreisoberpfarrer eine Schlägerei zwischen zwei Deutschen beenden will und lautstark schreit: „Wollt Ihr schon wieder einen totschlagen?“, bekommt er von den Umstehenden zu hören: „Das war doch nur ein Neger.“
Wenn der Ausländerbeauftragte Razak Minhel demnächst wieder einmal bei der Stadt um Gelder für ein wichtiges Projekt anklopft, dann ist er „gespannt“, wie „offen“ man sich gibt.
Hoffnung und Angst – jeder Tag, der kommt, bringt für die Witwe Angelika Adriano irgendetwas dazwischen. Ja, sie helfen jetzt: Land, Stadt, Kreditinstitute, Wohnungsbaugesellschaft, Bürger. Nein, sie können ihr die Angst nicht nehmen. Wenn Mino bittet, ob er in den Stadtpark zum Spielen darf, was soll sie tun? Soll sie ihn gehen lassen? Oder nicht? „Ich habe Angst um meine Kinder. Die Stimmung in der Stadt hat sich verschlechtert.“
Es läutet. Es ist Veloso Augustinho, der Freund der Familie, der einen Tag nach Alberto Adrianos Tod verpügelt wurde. „Hast du Anzeige erstattet?“, fragt Angelika Adriano. „Nein. Ich kenne die doch nicht. Da hat es keinen Sinn.“
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