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Ein Plädoyer für Urbanität

Die künstlerische Ausbeute ist eher gering: „Screen Climbing“ im Kunstverein  ■ Von Hajo Schiff

Es herrscht Krieg in der Stadt. Nicht nur die offene Rüpelhaftigkeit, mit der die Radfahrer die Fußgänger vom Gehweg fegen, ist gemeint, nein, ein kalter Krieg besetzt schleichend das urbane Gefüge: die als Sport getarnte Aufrüstung zum heimlich ersehnten Guerillakampf. War der Begriff Stadtdschungel am Beginn der Großstädte noch eine poetische Metapher, so ist er inzwischen zum realistisch ausgemalten Bild geworden. Da wirbt eine Kleinwagenfirma hoffnungsfroh und jungle-selig mit Autos zwischen Löwen und Elefanten und die höchsten Zuwachsraten bei Neuwagenzulassungen liegen ohnehin bei spritfressenden allradgetriebenen Geländewagen, komfortabel gemachten Safarigefährten mit Kampfwagentauglichkeit. Aus solchen Automobilen ist dann zu beobachten, wie Menschen an Seilen von Fernsehtürmen springen, Glasfassaden erklettern sowie auf Mountainbikes oder winzigen Brettern über Treppen und Geländer sausen. Und fast täglich eröffnet ein neues Fitnessstudio für den kleinen Kampfkick zwischen Bildschirmarbeit im Büro und Videospiel in der Freizeit.

Was bleibt da noch von der mit „Kunst im öffentlichen Raum“ ausgestatteten, im „Architektur Sommer“ abgefeierten Urbanität? Erschreckend wenig – der Flaneur möge sich in die virtuelle Welt seiner Bibliothek zurückziehen oder vorher noch mal kurz in die neueste Ausstellung des Hamburger Kunstvereins gehen. Denn dort hat das „Büro für kognitiven Urbanismus“, eine Gruppierung der Wiener Künstlerarchitekten Christof Schlegel, Andreas Spiegel und Christian Teckert, sich unter dem Titel „Screenclimbing“ des Themas angenommen und eine raumgreifende Videolandschaft mit vier integrierten Gastkunstwerken aufgebaut.

Nachdem eine Tonstudiowand dem Eintretenden den Schall abdämpft und eine Blue Box auf die Virtualität an sich verweist (Heimo Zobernig), beginnt ein durch halbdurchlässige, absteigende Gazeleinwände abgeteilter Parcours durch aufwendig verräumlichte, mit bewegten Bildern illustrierte Diskussionsbeträge. Dazwischen das mäßig originelle Video, in dem sich die Mexikanerin Minerva Cuevas mit der Axt einen Zugang zu einer kanadischen Ideallandschaft verschafft, und der Beitrag der Wienerin Dorit Margreiter, die die Pläne ihrer US-amerikanischen Verwandten, ihr Haus um einen Medienraum zu erweitern, parallelisiert mit dem PC-Spiel der Kreation einer künstlichen Familie aus „SIMS“: virtuelle Freunde überall. Und mit drei Monitoren in einer Textwand bearbeitet Jun Yang schlechte Erfahrungen bei einer nächtlichen Hausdurchsuchung durch die Polizei mittels Gangsterfilm und Mickey Mouse. Schließlich senkt sich die Gaze-Screen zu einer Art Bühne, wo an vier Tischen weiteres Material ausgebreitet ist. Und mit der ironisch-kalauernden Ermutigung durch die Filmschleife einer Flucht samt ganz gräßlichem Absturz in die Tiefe darf die Ausstellung über die Nottreppe verlassen werden.

Wie zunehmend häufiger bei solch seminarverdächtigen, soziologisch begründeten Themen ist die künstlerische Ausbeute gering. So wähnt man sich in der freundlichen Umsetzung des pädagogischen Anliegens in einem mittelmäßigen Pavillon der EXPO 2000: Was genauso gut in einem kleinen TV-Feature auf den Punkt gebracht werden könnte, ja bei geübtem Blick eben schon im kurzen Werbespot einer Laufschuhfirma komplett enthalten ist, wird hier in dialogische Häppchen aufgesplittet und auf begehbar inszeniert. Die Zeitdiebe sitzen heute nicht nur im kritisierten, antistädtischen Körperkult, sondern mehr noch in der Unterhaltungsindustrie. Und dazu gehört schon längst auch der Kunstbetrieb, völlig unabhängig von seiner intendierten Aussage.

„Screen Climbing“: Kunstverein, Klosterwall 23, bis 3. September. Vortrag der amerikanischen Filmtheoretikerin Kaja Silverman: „Die Schwelle der sichtbaren Welt: Der Screen als Realitätsprinzip“, Donnerstag, 22. Juni, 19 Uhr.

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