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berliner szenenIm Jugendgericht Moabit

Generation Golf

Vor einem Jahr ist mir als Radfahrerin übel mitgespielt worden: Ausgemacht widerliche Neonazi-Typen hatten mich mit ihrem rosa Golf abgedrängt und dabei feist angepöbelt. Ich war dermaßen empört, dass ich die Bengels anzeigte, zumal die ganze Sache auch so routiniert wirkte, als würden sich die beiden mit diesem „Hobby“ öfter mal die Langeweile vertreiben. Irgendwann im Winter sollte ich den Fahrer auf der Wache identifizieren, der zuständige Beamte zeigte mir eine Auswahl von acht Lichtbildern.

Dieser Tage traf ich J. K. dann im Jugendgericht Moabit wieder. Er war in Begleitung seiner tadellos gebügelten Mutti erschienen. Der junge Mann, der wegen seines Alters zur Tatzeit noch so ganz eben unters Jugendstrafrecht fiel, konnte sich an nichts erinnern und bemühte sich redlich, einen guten Eindruck zu machen. Was auch gelang: Der Richter bezweifelte, dass ich den Fahrer des Golf nach der sehr flüchtigen Begegnung wieder erkennen könne. Und außerdem habe es die Polizei mir bei der Lichtbildauswahl ja viel zu einfach gemacht, die anderen Fotos hätten zu wenig Ähnlichkeit mit meiner Täterbeschreibung. „Da muss mal jemand bei der Polizei Bescheid sagen, das geht so nicht!“

Wegen eines ansonsten sehr geradlinigen Lebenswandels – intaktes Michendorfer Elternhaus, schon 19 und erst einmal wegen Unterschlagung angezeigt, vor allem aber als Zeitsoldat in Magdeburg auf dem rechten Weg – wurde der Kerl freigesprochen.

Irgendjemand musste J. K. vorsorglich für den Fall des Freispruchs empfohlen haben, sich bei mir zu entschuldigen. Was seine ohnehin schwere Zunge dann auch für ihn tat: Falls er oder jemand, dem er an jenem Tag vielleicht sein Auto geliehen habe, vielleicht doch diese Straftat begangen haben sollte, an die er sich aber nicht mehr erinnern könne, täte es ihm sehr Leid. Und J. K. gelobte Besserung. Dufte!

Nach der Urteilsverkündung ging ich zum Gerichtsdiener, der mir erklärte, wie und wo ich mein Zeugengeld abholen könnte. Wie’s denn so gelaufen sei, wollte er wissen, als wir zusammen eine Zigarette rauchten. Erzählte mir dann, dass kürzlich eine Oma da gewesen sei, die ihre jugoslawische Putzfrau wegen wiederholten Diebstahls angezeigt habe. Die Putzfrau konnte kein Deutsch, also wurde eine serbische Übersetzerin zur Verhandlung bestellt. Bekanntlich sitzen die Zeugen bei der Befragung ja direkt vor dem Richter, die Angeklagten auf den hinteren Bänken. In dieser Position wurde die Oma befragt, ob es sich bei der angeklagten Person um die hier Anwesende handele? Die Oma drehte sich kampfeslustig um, ihr Blick blieb jedoch an der Übersetzerin hängen, die sie energisch als jugoslawische Übeltäterin identifizierte.

Das Verfahren musste abgebrochen werden, und mehrere Personen flohen mit Lachkrämpfen aus dem Saal, so der weise wirkende Gerichtsdiener. Diese entzückend komplementäre Variante von Identifikationsschwierigkeiten entschädigte mich für den Ärger, und ich ließ mir gut gelaunt meine 75,00 DM Zeugengeld zzgl. 8,80 DM BVG-Reisekosten auszahlen. D. W.

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