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Der Tod in den Ölfeldern

In Nigeria starben bis zu 300 Menschen bei der Explosion einer Pipeline. Die Bewohner der Ölfelder suchen an Pipeline-Lecks ihren Anteil am Wohlstand des Landes, von dem sie nichts abkriegen

BERLIN taz ■ Der Ölexport bringt Nigeria jährlich Einnahmen von etwa zehn Milliarden Dollar, aber die meisten Bewohner der Ölfelder haben weder Strom noch fließendes Wasser noch Benzin. Um Treibstoff zu bekommen, entweder zum Eigenbedarf oder zum Weiterverkauf, zapfen sie das Netzwerk altersschwacher Pipelines an, das ihre Region durchkreuzt – vor allem im Gebiet in der Nähe des Ölhäfens Warri, wo die Hauptversorgungslinien für Treibstoffe in den Rest des Landes ihren Ausgang nehmen. Jeden Tag werden neue Lecks an Pipelines gemeldet, wo dann Menschen zusammenströmen, um das schwarze Gold endlich einmal selber in die Hände zu bekommen, dessen Reichtum ansonsten nur die Elite beglückt.

Anfang dieser Woche explodierte in Adeje bei Warri wieder einmal die große Pipeline vom Süden in den Norden Nigerias, an der eine ähnliche Katastrophe im Ort Jesse 1998 über 1.000 Tote gefordert hatte. Die Pipeline war zuvor leckgeschlagen worden. Die Zahl der Opfer wird inzwischen auf 300 geschätzt. Das am Sonntag ausgebrochene Feuer, das am Montag zunächst gelöscht worden war, brach am Mittwoch erneut aus und erschwerte die Bergung der verkohlten Leichen. Viele Brandopfer haben sich versteckt und trauen sich nicht in ärztliche Behandlung aus Angst, als „Saboteure“ verhaftet zu werden. Das Feuer von Adeje hat die gesamte Vegetation im Umkreis von zwei Kilometern vernichtet.

Solche Vorfälle werden immer häufiger. So starben am 7. Februar 15 Menschen in einem Feuerball, als bei einem Ölleck jemand eine Zigarette anzündete. Am 14. März starben über 50 Bewohner des Dorfes Gbede beim Brand der durch den Ort verlaufenden Pipeline. Am 3. Juni steckten Jugendliche die große Nord-Süd-Pipeline an vier verschiedenen Stellen in Brand, nachdem die Polizei eine Großoperation gegen Benzindiebe gestartet hatte; die Zahl der Opfer ist unbekannt. Die Anzahl der registrierten Lecks in Nigerias Pipelines lag in den ersten drei Monaten dieses Jahres bei über 400, gegen 30 in derselben Vorjahresperiode. Während Adeje brannte, brach nur 17 Kilometer weiter an einer Shell-Ölpipeline ein neues Feuer aus.

Nigerias Sicherheitskräfte haben eine Spezialtruppe eingesetzt, die die „Pipeline-Vandalen“ jagt. „Die Vandalen werden immer mutiger und verwickeln die Truppe manchmal in Schusswechsel“, sagte ihr Leiter Abdulahi Magaji der BBC. Nach Oppositionsberichten hat die Spezialtruppe in den letzten Wochen über zehn Menschen erschossen.

Die zunehmende Gewalt und die Häufung von Brandkatastrophen deuten nach Meinung von Politikern darauf hin, dass hier mehr im Spiel ist als die Verzweiflung einer verarmten Bevölkerung. „Wir geben uns nicht mehr zufrieden mit der vereinfachenden Sabotagetheorie“, sagte der Gouverneur des betroffenen Bundesstaates Delta, James Ibori, und sprach von einer „internen Verschwörung auf hohem Niveau“. Der Verdacht richtet sich gegen Mitarbeiter der staatliche Ölgesellschaft NNPC, die möglicherweise das eigene Pipeline-Netzwerk sabotieren, um Benzin künstlich zu verknappen und eine Schmuggelwirtschaft in Gang zu halten.

Doch dass sich regelmäßig Hunderte mit Schaufeln und Eimern an Benzin ausströmenden Pipelines einfinden, lässt sich mit Verschwörungstheorien nicht erklären. „Die langen Jahre der Wirtschaftsdepression hat die Angst vor dem Tod in vielen Menschen abgetötet“, kommentierte gestern die nigerianische Tageszeitung The Guardian. „Getrieben von entmenschlichter Bedürftigkeit, sind die Leute zu allem bereit, um ihren Lebensunterhalt zusammenzukratzen.“ DOMINIC JOHNSON

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