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Jeder kennt unberechenbare Zeitgenossen

Kuratorischer Rundumschlag: Für das von der Akademie der Künste organisierte „Z 2000“-Festival wurden einige hundert Künstler und Künstlerinnen eingeladen – Graffiti-Sprayer und Netzwerker inklusive. Einen gemeinsamen Nenner gibt es nicht: Oder ist der Jugendbonus ein Signum für Qualität?

von TANJA DÜCKERS

Schon 1994 stellte die Akademie der Künste – damals noch unter dem an die Generation X erinnernden Label X94 – eine Art documenta für junge Kunst vor. 60.000 Besucher strömten an mehr als 20 Veranstaltungsorte in Berlin, 700 geladene Küstler boten ihre Werke in 278 Einzelveranstaltungen und in 17 Ausstellungen feil. Nummerisch wahrlich beeindruckend. Auch dieses Jahr werden wieder Superlative erwartet: Modenschauen in den Heckmann-Höfen, Literatur von Jan Peter Bremer über Feridun Zaimoglu bis zum Morpheo-Verlag, Klanginstallationen wie „Seilbahnmusik“ oder die singenden „Monika Königinnen“.

In der Akademie der Künste, im Berlin-Pavillon, im Künstlerhaus Bethanien und in den Fehrbelliner Höfen finden die Main-Acts statt. NEXT! in der Akademie stellt Künstler vor, die der HipHop-Szene entstammen und gerne sprayen. In „Satellit“ stellt Rüdiger Lange 26 Künstler vor, die ausgehend vom Berlin-Pavillon weite Teile des Tiergartens einbeziehen. „Hörbars“ mit Musik von 60es bis 90es, Klanginstallationen, Arbeiten im Wasser und andere situative Installationen machen den eng mit dem Mutterplaneten vernetzten Satelliten aus. Eines der vielversprechendsten Projekte, das wirklich ein Thema hat und nicht nur „alles, was es heute so gibt“ vorführen will.

Die Ausstellung „Present Representation“ in den sehr schönen Fehrbelliner Höfen, einem ansonsten leer stehenden Fabrikgebäude in Mitte, werde ich jetzt willkürlich aus der Z-2000-Unübersichtlichkeit herauslösen. So muss der potentielle Besucher den zeitgenössischen Kunst-Fusionen begegnen: kurzentschlossen einen Bereich auswählen und ihm volle Aufmerksamkeit gönnen, eine Vielzahl anderer Veranstaltungen dagegen getrost ignorieren. In dieser Ausstellung wird der Versuch unternommen, wissenschaftliche Vorgehensweisen als integrativen Bestandteil des künstlerischen Prozesses zu verstehen. Dieses Anliegen allein ist schon so vieldimensional, dass seine Subsumierung unter ein Mega-Event wie Z 2000 bedauerlich ist.

Alle in „Present Representation“ ausgestellten Künstler haben sich in der Berliner Off-Szene schon einen Namen gemacht, die Engländerin S.I.G. (= Secret Intelligence Girl) stellte im Tacheles Malerei und Installationen zum Thema „Biene“ aus – unvergesslich bleibt ihr „Bienenfriedhof“. Stefie Steden entwickelt seit Jahren originelle Beiträge zur Computer-Kunst: In den „Personenkreisen“ im Rahmen ihres „Büros für interpersonelle Recherchen“ überprüft sie nun in den Fehrbelliner Höfen anhand der Angaben ausgewählter Personen zu deren Freundes- und Bekanntenkreis, wann und wo ungeahnte Schnittstellen zwischen einander Fremden auftauchen. Auf diese Weise erfuhr zum Beispiel die Autorin zu ihrer Überraschung, eine Cousine von Stefi Steden zu sein!

Wissenschaftlichkeit in die Kunst transferiert Sven Kalden, der in Kürze mit einem DAAD-Stipendium nach Chicago gehen wird, indem er einen Ausschnitt eines Stadtplans von San Francisco dreidimensional zum Spazierengehen für das Publikum nachbaut. Die Unordnung der Natur weist Wiebke Maria Wachmann mit ihrem schummrigen „Nachbau eines Birkenwalds“ in die Fehrbelliner Höfe ein, ein anderer Künstler arbeitet mit Solartechnik. Das Konzept wird abgerundet durch eine Modeperformance von „NIX“, in der die architektonischen Gegebenheiten zur Schau gehören.

Kern von Z 2000 ist jedoch die Ausstellung der Akademie der Künste „Bleibe (!)“. Durch europaweite Ausschreibungen ausgewählte Künstler, darunter bekannte Namen wie Richard Billingham, Katharina Grosse und Olafur Eliasson, widmen sich in „Bleibe (!)“ dem Thema Be- und Entschleunigung, versuchen den flüchtigen Moment im auch immer flüchtiger werdenden Moment der Kunst festzuhalten. Das künstlerische Spektrum reicht vom Tafelbild bis zum Dienstleistungsangebot. In einer Zeit, in der Kunst flexibel nach dem „Anything goes“-Kriterium ausgewählt wird, eher verführen denn überzeugen soll, kann nicht gleichzeitig Konsolidierung und Konstanz eingefordert werden – vielleicht drückt der Imperativ „Bleibe (!)“ aber eher einen verzweifelten Wunsch denn eine realistische Forderung aus. Während die „Generation X“ laut Veranstalter „noch etwas im weitesten Sinn Definierbares“ war (also eine Generation geprägt von dem Gefühl, betrogen worden zu sein um den kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufstieg, den Eltern und Großeltern erleben durfen, dazu Sinnlosigkeitsgefühle, Eskapismus, Ersatzbefriedigungen etc.), versucht Z 2000, der neuen Generation, die sich zunehmend in verschiedene Subkulturen und -künste aufteilt, gerecht zu werden. Der wilde Pluralismus ist längst kein mediales Schlagwort mehr, sondern Wirklichkeit: Der Handy-Heini trägt eine waschechte Rolex, fährt aber auf einem verrosteten Fahrrad und entpuppt sich als Philosophiestudent; die Apothekerin mit Heidi-Frisur und hellblauen Leise-Tretern entblößt ihr Dragon-Tattoo und Piercings – jeder kennt unberechenbare Zeitgenossen. Bei den Veranstaltungen der Akademie der Künste & Co droht ein entsprechend unübersichtliches Chaos. Die Morpheo-Verlagsleiterin Nadja Bentz, die mit der Lesungsreihe „Neue Literatur Berlin“ bei Z 2000 vertreten ist, hat eine überaus lustige selbstironische Idee entwickelt: Der „Morpheo-Kurzprosa-Preis“ ist ausgeschrieben für ein zwei Seiten (!) schlankes Epos – um, so die Begründung für die Preisausschreibung – „der neu-medialen Komprimierungs- und Samplerwut zu entsprechen.“

Bei aller Divergenz eint doch eines die verschiedenen Z-2000-Künstler, ob sie aus L. A. oder Berlin, aus London oder Lüneburg kommen, Klaus Kehrwald oder Big Biff heißen: Sie sind jung. Offenbar sind im postpostmodernen Durcheinander durchaus nicht alle Hierarchien außer Kraft gesetzt. Jung ist in. Oldies sind out. Bei genauerem Hinsehen scheint auch Z 2000 trotz vollmundigen Toleranzgebarens unausgesprochene Prämissen für das zu formulieren, was als „zeitgemäß“ empfunden werden soll.

Z 2000, bis 20. 8. täglich 11-19 Uhr; alle Infos unter http://www.z2000.de

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