HEILIGE STADT FÜR DREI RELIGIONEN UND ZWEI VÖLKER: Oh Jerusalem
Die letzte und die stabilste rote Linie im Nahen Osten hat einen Namen, und der heißt: Jerusalem. Nicht der Druck eines US-Präsidenten, nicht die Aussicht auf Milliarden an Subventionen, ja nicht einmal die Verlockung des Friedens selbst hat die nahöstlichen Kontrahenten bislang zu den geforderten schmerzlichen Kompromissen veranlassen können. Und das hat einen einfachen Grund: Würde Ehud Barak einwilligen, Jerusalem wieder zu teilen, käme eine solche Entscheidung seinem Sturz gleich. Und würde Yassir Arafat eine israelische Souveränität über das muslimische Viertel der Altstadt oder gar den Tempelberg zulassen, er würde in Gaza gesteinigt werden. So lautete die Aussicht nach neun Verhandlungstagen in Camp David.
Für Israelis und Juden in aller Welt ist Jerusalem ein spirituell-religiöser Ort, über den sie Jahrtausende lang keine Souveränität haben ausüben können. Erst der Sechs-Tage-Krieg von 1967 brachte Ost-Jerusalem und damit die wichtigste Stätte des Judentums, die Klagemauer, wieder unter israelische Kontrolle. Eine Handbreit Jerusalem aufzugeben kommt in den Augen vieler Israelis, nicht nur bei der politischen Rechten oder fanatischen Siedlern, einem Verrat gleich. Seit 1967 – also mehr als 33 Jahre lang – hat der politische Zionismus gepredigt: „Jerusalem ist auf ewig die unteilbare Hauptstadt des jüdischen Staates“. Noch Shimon Peres verlor 1996 die Parlamentswahlen gegen Likud-Chef Benjamin Netanjahu, weil die Rechte Stimmung machte mit dem Slogan „Peres und Barak wollen Jerusalem teilen“. Dabei hatte schon Moshe Dayan 1967 nach der Eroberung der Altstadt die israelische Flagge über dem Tempelberg sofort wieder einholen lassen und dem islamischen Waqf, einer religiösen Institution, die Kontrolle über diesen Bezirk übergeben.
Al-Quds, die Heilige, nennen die Palästinenser ihr Jerusalem. Zwar ist Al-Quds niemals eine muslimische oder arabische Hauptstadt gewesen. Aber mit dem Tempelberg und der Al-Aqsa-Moschee beherbergt die Stadt das drittgrößte islamische Heiligtum. Und die Souveränität über dieses Heiligtum einem Erzfeind und Ungläubigen zu überlassen, würde die Gefühle aller Araber und Muslime auf der Welt missachten. Von der Aufgabe völkerrechtlicher Ansprüche ganz zu schweigen.
Und dennoch: Trotz aller Symbolik, trotz aller historischen und religiösen Belastungen, Jerusalem ist verhandelbar. Und es ist ein legitimer Verhandlungsgegenstand. So sagt es auch das Oslo-Abkommen von 1993. Und so geschieht es in Camp David. Die überwältigende Mehrheit der Staaten in dieser Welt hat bis auf den heutigen Tag Jerusalem nicht als Hauptstadt Israels anerkannt. Und der immer noch gültige UN-Teilungsplan von 1947 sieht sogar eine Internationalisierung Jerusalems und den freien Zugang aller Religionen zu ihren heiligen Stätten vor. Auf den Tisch gehört ein Vorschlag, der die auf beiden Seiten notwendige Kompromissbereitschaft ausreizt: Teilung der Souveränität über die historischen Viertel der Altstadt, freier Zugang aller Religionen zu ihren heiligen Stätten, Kontrolle der arabischen Viertel durch die Palästinenser und palästinensische Zustimmung zu einer israelischen Kontrolle über die jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem. Ein derartige Lösung mit Zustimmung Arafats würde Jerusalem zur weltweit anerkannten Hauptstadt Israels machen. Und das wäre nicht wenig.
Die Rechte der mehr als 200.000 Palästinenser in Jerusalem, die nicht Staatsbürger Israels werden wollen, die jahrzehntelang diskriminiert und auf vielfältige Weise aus der Stadt vertrieben worden sind, zu ignorieren oder gar die Verbindung zwischen dem Ostteil der Stadt und der Westbank durch eine Grenze zu trennen, kann dagegen auf Dauer keinen Bestand haben.
Der Gipfel von Camp David hat die Kernpunkte des israelisch-palästinensischen Konflikts erstmals zum Gegenstand wirklicher Verhandlungen gemacht. Das ist ebenso verdienstvoll wie unumgänglich. Es gibt keine roten Linien mehr. Die alten Parolen können keinen Bestand mehr haben. Um des Friedens und der Gleichberechtigung willen muss Israel anerkennen, dass die Rechte der Palästinenser – auch in Jerusalem – denen der Israelis nicht nachgeordnet sein können. Mit dieser Erkenntnis allein wäre Camp David schon ein Erfolg, selbst wenn die Suche nach einem endgültigen Kompromiss weiterer Verhandlungsrunden bedürfen sollte. GEORG BALTISSEN
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