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Medienzar Gussinski ist wieder beweglich

Russische Staatsanwaltschaft hebt das Ausreiseverbot auf. Auch die Anklage wegen Betrugs soll fallen gelassen worden sein. Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Denn die Verantwortlichen schweigen sich bislang aus

MOSKAU taz ■ Die Überraschung war perfekt, als am Dienstagabend Russlands Staatsanwaltschaft das vor anderthalb Monaten gegen den Medienmogul Wladimir Gussinsky verhängte Ausreiseverbot aufhob. Anfang Juni hatte Moskaus Chefankläger den einzigen Medienzaren, der auf kritische Distanz zum Kreml hielt, unter dem Verdacht auf „Betrug in besonders schwerem Fall“ vier Tage in Beugehaft genommen.

Indes bestanden schon damals keine Zweifel, dass die Maßnahme vor allem der unabhängigen Berichterstattung des zur Most-Gruppe gehörenden Fernsehsenders NTW galt. Nach Protesten im In- und Ausland und reiflicher Überlegung im Kreml –, sah sich die Staatsanwaltschaft gezwungen, den Unternehmer auf freien Fuß zu setzen, mit der Auflage verbunden, das Land nicht zu verlassen. Noch in der letzten Woche hatten russische Strafverfolgungsbehörden den privaten Besitz Gussinskys beschlagnahmt.

Gussinskys Sender NTW berichtete überdies unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft, dass auch die Anklage wegen Betrugs inzwischen fallen gelassen worden sei. Der Grund: Beweismangel. Die Agentur Interfax meldete, die Ermittlungen liefen weiter. Die Staatsanwaltschaft hat sich öffentlich nicht geäußert. Verständlicherweise, denn der Rückzug auf leisen Sohlen gleicht einer Kapitulationserklärung. Behauptete doch die Behörde noch im Juni, ausreichend Beweise für eine Anklage zu haben.

Worauf beruht der Sinneswandel? Auf den Korridoren der Most-Gruppe kursieren mehrere Vermutungen. Dort ist man überzeugt, dass auch diese Entscheidung im Kreml getroffen wurde: „Und wer weiß, was auf dem G-8-Treffen in Okinawa ausgehandelt worden ist?“, meint ein Mitarbeiter. Außerdem könnte Präsident Putin inzwischen erkannt haben, dass der Krieg an mehreren Fronten nicht zu gewinnen ist. Der Kreml-Chef kämpft nicht nur an der Front in Tschetschenien, er warf auch den einflussreichen Wirtschaftsoligarchen, der kritischen Presse und den regionalen Eliten den Fehdehandschuh hin. Überdies trifft er sich heute mit Vertretern der Oligarchen, die eine Revision der Privatisierung befürchten. Nachsicht mit Gussinsky könnte daher auch als ein Sedativum für die Finanzmoguln gedacht sein.

Der Kommersant, der dem Oligarchen und Gussinsky-Gegner Boris Beresowski gehört, will unterdessen erfahren haben, der Medienzar hätte im Tausch für seine Bewegungsfreiheit versprochen, die Kritik seiner Sprachrohre am Kreml und „an Putin persönlich“ herunterzufahren. Die Berichterstattung wird zeigen, ob was dran ist an diesem Gerücht. Das Blatt behauptet zudem, der Gasgigant Gasprom könnte demnächst in der Most-Gruppe als Aktionär eine Sperrminorität erwerben. Dass der Kreml versucht, Druck auf die Führung von Gasprom auszuüben, um den unliebsamen Pressekonzern zu neutralisieren, ist seit langem bekannt. Einer der Hebel könnten 211 Millionen US-Dollar Schulden der Most-Gruppe beim russischen Gasmonopolisten sein. Bisher hat es Gussinsky indes stets abgelehnt, Schulden gegen Einfluss zu handeln. KLAUS-HELGE DONATH

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