: Musical vor der Abbruchempfehlung
■ Die Subventionen für „Jekyll & Hyde“ sind um Millionensummen höher als bisher bekannt war. Grüne und SPD kritisieren Finanzgebahren. Wirtschaftssenator weist Vorwürfe zurück
Die staatlichen Subventionen für das Musical „Jekyll & Hyde“ sind um Millionensummen höher, als bislang bekannt war. Außerdem ist die Auslastung des 1.400-Plätze-Theaters am Richtweg seit Frühjahr sehr viel niedriger, als die Betreiber bislang zugegeben haben. Dies geht aus internen Protokollen und dem Entwurf für eine Beschlussvorlage aus dem Aufsichtsrat der Hanseatischen Gesellschaft für öffentliche Finanzierungen (HAGÖF) hervor, die die oppositionellen Bündnisgrünen gestern der Öffentlichkeit vorgelegt haben.
CDU: Schluss mit dem öffentlichen Getöse
„Das Musical droht zum Fass ohne Boden zu werden“, erklärte die grüne Wirtschaftspolitikerin Helga Trüpel und hat wegen der undurchsichtigen Finanzverflechtungen der stadteigenen Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) mit dem Musical vollständige Akteneinsicht beim Wirtschaftsressort beantragt. Auch die Sprecherin der Wirtschaftsförderungsausschüsse, Eva-Maria Lemke-Schulte (SPD), hat gestern rückhaltlose Aufklärung über „alle Vorlagen, Vermerke, Verträge und sons-tigen Aufzeichnungen“ zur Musical-Subventionierung gefordert. Andernfalls werde sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) hat die Kritik zurückgewiesen, ohne auf die Kritik einzugehen. Die Wirtschaftsförderungsausschüsse werden Anfang September umfassend informiert, erklärte ein Sprecher Hattigs. Es sei unabdingbar, dass das erfolgreiche Musical-Projekt nicht durch die Veröffentlichung einseitiger (!) und vertraulicher Unterlagen diskreditiert werde. Auch der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Helmut Pflugradt warnte davor, „das Musical mit öffentlichem Getöse in Schwierigkeiten zu bringen“. Er sagte allerdings auch: „Wenn offene Fragen im Raum stehen, müssen diese selbstverständlich geklärt werden.“ Das Musical selbst und die HVG wollten gestern keine Stellung nehmen.
Die von den Grünen aufgedeckten Fakten sind äußerst brisant. Denn das seit Februar 1999 im Theaterneubau am Richtweg achtmal wöchentlich gespielte Musical kommt die SteuerzahlerInnen offenbar in jeder Hinsicht teurer zu stehen, als bisher bekannt war. So geht aus den Unterlagen hervor, dass der Gebäude-Umbau 54,5 Millionen Mark statt der bislang bekannten 48 Millionen Mark kos-tete. Die an die Auslastung gekoppelte feste Subvention beträgt für 1999 bis voraussichtlich 2001 drei Millionen Mark pro Jahr. Bislang war immer nur von einem 1,7-Millionen-Mark-Zuschuss die Rede. Damit nicht genug: Die HVG hat dem Gebäudeeigner Michael Arend ein Darlehen in Höhe von 9,4 Millionen Mark gewährt, von dem selbst die mitregierende SPD nichts wusste.
Nicht zuletzt wegen der unklaren Rolle der HVG erhob die SPD ges-tern schwere Vorwürfe gegen den städtischen Veranstaltungskonzern: „Die HVG hat die Risikoverteilung zwischen dem Betreiber und der Stadt beziehungsweise ihren Gesellschaften offenbar nachträglich zu Ungunsten Bremens verändert“, heißt es in einer Stellungnahme. „Sollte sich der Verdacht der Verschleierung und Parlamentarier-Täuschung bestätigen, sind Konsequenzen unausweichlich“, sagte Lemke-Schulte und forderte den Wirtschaftssenator dazu auf, zu einer Sondersitzung der Wirtschaftsförderungsausschüsse noch im August zu laden.
Schon im Mai drohte Konkurs bei „Jekyll & Hyde“
Die Finanzlage des Musicals wurde offenbar Mitte Mai richtig dramatisch. Der Gebäudeeigner und Hauptverantwortliche Michael Arend bat die Stadt um ein Darlehen, um die Insolvenz – sprich: den Konkurs – abzuwenden. Die Sparkasse drohte als Hausbank damit, die Löhne und Gehälter nicht auszuzahlen. Im April war die Auslas-tung auf 47,8 Prozent gesunken, im Mai sackte sie sogar auf 33,1 Prozent ab. Neuere Zahlen sind nicht bekannt. Im Juni hat die HAGÖF dem Musical eine Rettungsbeihilfe von 1,5 Millionen Mark bewilligt. Diese Beihilfe ist ein Abschlag auf das Acht-Millionen-Mark-„Darlehen“, über dessen Vergabe die Wirtschaftsförderungsausschüsse noch entscheiden müssen. Den internen Protokollen zufolge verschafft sie dem Musical nur bis Mitte August Zahlungsfähigkeit.
Einer der Hauptinitiatoren der „Errichtung eines privaten Musical-Theaters“, so die offizielle Sprachregelung, war der ehemalige Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller, der heute Direktor des Bremer Instituts für Wirtschaftsforschung BAW ist. Haller begründete die öffentlichen Subventionen damals mit regionalwirtschaftlichen Effekten des Musicals. Er rechnete mit 500 zusätzlichen Arbeitsplätzen und 4,5 Millionen Mark jährlichen Steuerrückflüssen. Doch zumindest 2000 geht die Rechnung nicht auf. Wenn die Wirtschaftsförderungsausschüsse dem Acht-Millionen-Mark-Rettungsdarlehen zustimmen, erhält „Jekyll & Hyde“ neben den drei Millionen Mark jährlichem Zuschuss in diesem und im nächsten Jahr noch mindestens jeweils vier Millionen Mark, die als Darlehen deklariert sind. Die Stadt wäre dann mit mindestens sieben Millionen Mark jährlich dabei. Bei der erwarteten 50-prozentigen Auslastung des Musicals wird jede Karte demnach mit rund 24 Mark subventioniert.
Die Autoren der Beschlussvorlage für den HAGÖF-Aufsichtsrat sehen jedoch Chancen, das Musical mittelfristig in die Gewinnzone zu bringen. Die Produktqualität sei hervorragend, das Kostenmanagement sei verbessert worden und die Perspektiven zur Gewinnung überregionaler Business-to-Business-Kunden (sprich: Busunternehmer) seien gut. „Auch Schadensminimierungsgründe sprechen zusätzlich für den Sanierungsversuch, da die öffentliche Hand bei Insolvenz und mangelnden alternativen Vermietungsmöglichkeiten bzw. Anschlussprojekten die vollen Zins- und Tilgungsraten von rd. DM 4,5 Mio. p.a. zu leisten hat“, heißt es in der Vorlage. Doch nur zwei Sätze weiter spielen die Schadensminimierungsgründe keine Rolle mehr: „Sollte die Auslastungsquote für das zweite Halbjahr (2000; Anm. d. Red.) nicht nachhaltig steigen und für eine realisierbare 70-Prozent-Quote im Jahre 2001 sprechen, wird der Abbruch des Engagements empfohlen.“ ck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen