: Geburtshilfe für Selbstvertrauen
Familienhebammen helfen Eltern mit ihren Kindern. Und bei den anderen Fragen des Lebens. Oft bringen sie etwas Kostbares in die Familien: Ein Stück Normalität ■ Von Sandra Wilsdorf
Vanessa ist ihr drittes Kind. „Aber in vielerlei Hinsicht habe ich das Gefühl, es wäre mein erstes“, sagt Michaela Weyde, „durch den Alkohol habe ich von den ersten beiden gar nicht so viel mitgekriegt.“ Ihre Mutter und Schwester finden manchmal komisch, welche Fragen sie hat. Das müsse sie doch wissen, es sei doch ihr drittes Kind. Na ja, der Alkohol, hättest Du nicht...
Aber der Alkohol, das war ges-tern. Heute ist Vanessa. Sie ist fast sechs Monate alt und strahlt ihre Mutter hingerissen an. „Mit dem Alkohol bin ich durch“, sagt Michaela Weyde. Schon seit eineinhalb Jahren. Sie habe es ganz allein geschafft: „Ich habe jetzt ein Hobby.“ Sie hört Musik und liest dieBravo.
„Aber viel Energie habe ich auch durch Gabi“, sagt die Mutter. Gabriele Biehl ist Familienhebamme und kommt ein- bis zweimal die Woche zu Vanessa und ihren Eltern. Heute will sie das Kind wiegen. „Der Kinderarzt hat gesagt, sie ist zu leicht, aber ich kann ihr die vierte Mahlzeit doch nicht reinzwingen, sie will eben nur drei pro Tag“, sagt Michaela Weyde und hat doch Angst, der Arzt könnte recht haben, ihr Kind zu leicht und sie eine schlechte Mutter sein. Auch für solche Ängste ist Gabriele Biehl zuständig.
Sie macht der 31-Jährigen Mut, sich selber zu vertrauen. „Sie hat mir Selbstbewusstsein gegeben. Ich kann alles fragen, und ich experimentiere mehr“, sagt die. Am Anfang hat sie Vanessa Waldmeistersaft gegeben, dann Apfelsaft, aber das gab Blähungen. Jetzt trinkt das Baby Fenchel- und Apfelmelissentee und ist zufrieden. „Gabi wollte gleich, dass ich ihr Tee gebe, aber ich musste das erst selber ausprobieren.“
Überhaupt reden die beiden viel über die Ernährung des Baby, „Gabi hat mir auch gezeigt, wie ich sie massieren kann.“ Aber gestritten haben sie sich auch schon, als die junge Mutter sich weigerte, zum Gynäkologen zu gehen. Am Ende hat die Hebamme gewonnen. Aber bei ihren Besuchen geht es nicht nur um das Baby. Es geht auch um die beiden Kinder, die nicht mehr bei Michaela Heyde und ihrem Mann sind, weil das Jugendamt sie vor gut eineinhalb Jahren weggebracht hat.
Sylvia, die im November neun Jahre alt wird, ist bei Pflegeeltern. Jenny, die Fünfjährige, lebt im Kinderhaus. Aber langsam nähert sie sich ihren Eltern wieder an, darf die Wochenenden und jetzt auch schon den Urlaub bei ihnen verbringen. „Sie war gerade drei Wochen bei mir, das war wunderbar“, sagt Michaela Weyde. Weil der Alkohol nun kein Thema mehr sei, dürfe Jenny im Oktober wieder zurück nach Hause kommen. Aber erst, wenn die Eltern bis dahin eine größere Wohnung gefunden haben. Die jetzige in Dulsberg ist 49 Quadratmeter groß. „Aber es geht nicht nur um die Größe, dem Jugendamt gefällt auch die Aufteilung nicht, weil die Tür vom Kinderzimmer gleich ins Wohnzimmer führt und wir da schlafen.“
Gabriele Biehl vermutet hingegen, dass sich das Jugendamt für die Kinder eher eine Wohnung mit Warmwasser wünscht. Dass diese keines hat, ist für Michaela Weyde allerdings überhaupt kein Problem: „In der Küche mache ich Wasser auf dem Herd heiß, und im Badezimmer haben wir doch einen Ofen“. Den könnte sie mit Kohle beheizen, aber meistens nimmt sie Holz: „Das ist billiger.“
Michaela Heyde will nicht raus aus der Wohung. „Ich bin hier großgeworden, habe eine Beziehung zu dem Haus.“ Außerdem will sie sich nichts vorschreiben lassen. Aber natürlich mag sie Jenny lieber als die Wohung. Deshalb suchen sie jetzt eine neue. Die drei Wochen mit Jenny wären herrlich gewesen. „Sie hat sich auch so um die Kleine gekümmert, dass ich im Haushalt mit beiden Kindern mehr geschafft habe als früher mit einem Kind“.
Nur Sylvia ist noch nicht auf dem Rückweg in ihr Elternhaus. „Ich habe viel falsch gemacht, und Sylvia hat darunter noch mehr gelitten als Jenny“, gesteht ihre Mutter sich und anderen ein. Deshalb habe sie zugestimmt, dass Sylvia bis zum Ende der vierten Klasse bei den Pflegeeltern bleiben sollte. „Ist ja auch nicht gut, wenn sie immer die Schule wechselt“. Aber warum sie noch immer keinen Kontakt zu ihr haben darf, kann sie nicht verstehen. „Nicht einmal schreiben darf ich ihr, nicht einmal zum Geburtstag“. Sie findet das ungerecht: „Sylvia glaubt nur, was sie sieht. Wie soll sie verstehen, dass hier alles anders geworden ist, wenn ich sie nicht sehen darf?“
Angst davor, eines Tages für alle drei Kinder verantwortlich zu sein? Keine Spur. Denn Angst gehörte zum Alkohol, und das ist vorbei. Heute schafft Michaela Heyde alles. Gabriele Biehl ist auch dafür da, ihr verständlich zu machen, dass sie ruhig sagen darf, wenn sie das Gefühl hat, ihr wachse etwas über den Kopf. Aber der Anspruch an sich selber ist hoch. Eine perfekte Mutter muss sie sein, denn die Angst sitzt tief, jemand könnte ihr die Kinder wieder wegnehmen.
Gabriele Biehl und ihre Kollegin Regina Müdsam sind gelernte Hebammen, und mit ihren beiden halben Stellen die einzigen Familienhebammen in ganz Hamburg. Ihr Projekt in Barmbek-Süd ist ein Pilotprojekt, das von der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) finanziert wird. Noch. Bislang zahlt die BAGS 70 Prozent, die anderen 30 Prozent müssen die Frauen selber erwirtschaften.
Das gelingt ihnen über Kurse, die sie anbieten, und die die Krankenkassen bezahlen. Da geht es um Geburtsvorbereitung, Rückbildungsgymnastik und Babymassage. Außerdem bieten sie eine Hebammensprechstunde an. Bei Frauen, die darüber hinaus Hilfe brauchen, machen sie Hausbesuche.
Biehl und Müdsam kommen beispielsweise zu Alleinerziehenden, zu minderjährigen Müttern, Drogenabhängigen, helfen, wenn Mutter oder Kind behindert sind, wenn die Schwangerschaft ungewollt ist, es psychische Erkrankungen oder psychosoziale Probleme gibt. Die Familienhebammen betreuen während der Schwangerschaft und bis zu einem Jahr nach der Geburt des Kindes. Sie machen vor und nach der Geburt normale Hebammenarbeit: „Herztöne messen, Stillpositionen zeigen, aber auch mal Atemübungen machen, Massagetechniken zeigen und sehr viel reden“, erklärt Gabriele Biehl. Über das Kind, aber auch über die Beziehung, über Sexualität, auch über Trennungen.
Zu Michaela Weyde und Peter Wellmann ist die Familienhebamme über eine Kollegin gekommen, die die junge Mutter im Wochenbett betreut hat. „Ich habe mich mit Gabi von Anfang an gut verstanden“, sagt Michaela Weyde. Das hat vielleicht auch ein kleines biss-chen an den drei Katzen gelegen, die zu den Weydes gehören. Gabriele Biehl ist zwar allergisch gegen sie, mag sie aber trotzdem und ist freundlich zu ihnen. Michaela Weyde hängt sehr an den Tieren. Weggeben würde sie sie in keinem Fall.
Die Kasse bezahlt Hausbesuche bis zu acht Wochen nach der Geburt. Aber dann ist Schluss. „Da ist ein kleiner Konflikt, dass wir ja eigentlich Familien helfen wollen, die uns besonders nötig haben, andererseits können wir uns davon gar nicht zu viele leisten“, sagt Gabriele Biehl. Seit eineinhalb Jahren läuft das Projekt, Träger ist der „Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg“, das Projekt gehört zum Kinder- und Familienzentrum Barmbek Süd. Ob die BAGS es über den 31.12.2000 hinaus finanziert, ist noch völlig unklar. Die Behörde kann noch nichts sagen: „Wir beurteilen das Projekt sehr positiv und bemühen uns“, sagt Stefan Marks, Pressesprecher der BAGS, vage. „Das ist für uns ungewiss, für die Frauen aber besonders schlimm, weil wir schon jetzt nur noch unter Vorbehalt annehmen können“, sagt Gabriele Biehl.
Natürlich gehe es aber gerade bei diesen Familien um ein bisschen Kontinuität. „Und auch im Stadtteil mussten wir erst einmal bekannt werden“, sagt Biehl. Wo immer es geht, holen die Familienhebammen die Frauen raus aus ihren Wohnungen, rein in die Gruppenangebote. Das bedeute oft ein bisschen weniger Isolation, ein bisschen mehr Normalität. „Man wird sonst zu wichtig in den Familien.“
Für Familie Weyde ist sehr wichtig, dass Gabriele Biehl zu ihnen kommt. Aber das wird höchstens noch ein paar Monate so bleiben. „Wenn Jenny da ist, soll jemand anders kommen, eine Familienhilfe“, sagt Michaela Weyde und ist skeptisch. Aber Gabriele Biehl macht ihr Mut. Zum Kinderkriegen gehört das Loslassen.
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