: Finaler Rettungswumms
Olympiastadion fratze? Siegessäule futschikato? Berlin wird durch den „SprengAntrag“ der Architektengruppe „37,6 Abteilung“ zu einer Hauptstadt mit menschlichem Antlitz
Gäbe es ein Gesetz, das Architekten zwänge, in dem Zeug, das sie für andere aushecken, zumindest für einen längeren Zeitraum selbst zu wohnen und zu arbeiten, die Wohnungen und Büros dieser Welt sähen anders aus. Und müsste der verantwortliche Architekt nach Errichtung eines Prunkbaus anschließend als Reiseleiter sein eigenes Produkt anpreisen, wären Scheußlichkeiten wie das Brandenburger Tor oder das Sony Center am Potsdamer Platz nie entstanden.
Die alte und neue deutsche Hauptstadt Berlin baut baut baut, hier wird geklotzt, nicht gekleckert. Aufgekrempelte Ärmel wie Gerhard Schröder behaupten grinsend, das Bauen sei ein Indiz für die Großartigkeit der Stadt. Läuft man aber durch das mit Großvorhaben vollgeballerte Berlin, fällt es schwer, an etwas anderes zu denken als an Schmiergeld, Schmu und infernalischen Lärm.
Wenn alles vollgestellt ist, gibt es keine Inspiration. Die eigene Vorstellung von der Welt wird städtebaulich niedergedrückt, wenn nicht plattgewalzt. Heinrich Zille wusste, dass „man einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen kann wie mit einer Axt“; für Straßenzüge und Plätze gilt das erst recht. Die – wie man früher gesagt hätte – normative Kraft des Faktischen ist reine Gewalt. Dieser architektonischen Gewalttätigkeit will eine Gruppe junger Berliner Architekten und Künstler etwas entgegensetzen: Durch einen „SprengAntrag“ gibt die „37,6[o]Abteilung“, wie sich die Gruppe nennt, jedem Einzelnen Gelegenheit, die Rolle als Objekt der Architektur abzustreifen und, zunächst in der Theorie, zum Subjekt der Baukunst zu werden. Jeder Einwohner oder Besucher Berlins hat eine Sprengung frei. Wenn auch nur auf dem Papier gesprengt wird – die Möglichkeit eines „SprengAntrags“ verändert die Perspektive, der Blick auf die Stadt öffnet sich, man schafft Platz, und wenn der Schabbel vor dem geistigen Auge abgeräumt ist, kann man den entstandenen Freiraum liegen lassen oder neu nutzen.
Peter Madundo von der „37,6[o]Abteilung“ erzählt von der Aktion, die seit Juni läuft. Viele Berliner zeigen sich angesichts der Möglichkeit, gestalterisch ins eigene Leben einzugreifen, überfordert. „Was soll denn gesprengt werden?“, wird Madundo häufig gefragt, wenn er „SprengAnträge“ verteilt. Andere aber nutzen die Gelegenheit, die Rolle des Sprengmeisters einzunehmen, gern und schlagen zum Beispiel vor, das Kaufhaus Lafayette, die Stinkbombenabwurfstelle Tacheles oder das Abwasserpumpwerk im Bezirk Tiergarten zu pulverisieren. Madundo selbst hat das neue Spielcasino und das Stella-Musiktheater im Auge, zwei architektonische Großverbrechen am Potsdamer Platz, die den Blick verstellen auf das Kulturforum aus den Sechzigerjahren. Madundos Expertise ist eher augenzwinkernd als ernsthaft sprenglustig gemeint; nichtsdestotrotz bleibt das Potsdamer-Platz-Areal ein Gaga-Land für idiotisierte Allesfresser – und nebenbei so weltstädtisch wie eine Kaiser’s-Filiale und ein Cinemaxx-Bunker.
In Zeiten, wo das bloße Aussprechen des Wortes „Gewalt“ die Äußerung von Abscheu und notorische Entschuldungs- und Tugut-Reflexe auslöst, ist es sinnvoll, sich an das zauberhafte Gedicht F. W. Bernsteins zu erinnern, dem ein weniger panisches Verhältnis zur Gewalt zu Grunde liegt: „Im besondren hilft Gewalt / in so manchem Sachverhalt. / Mit Gewalt fällt manches leicht, / was man ohne schwer erreicht. // Nur mit Schlägen kriegst du ein’ / Nagel in die Wand hinein. / Nur mit Sanftmut kannst du ihn / schwerlich wieder rauseziehn. // Hört das Fänsän nimmer auf, / nimm den Hammer und hau drauf; / gibt der Pfeiftopf keine Ruh, / nimm den Knüppel und hau zu.“ Man muss schon gut gehirngewaschen sein, um Gewaltphantasien denen zu überlassen, die ganz selbst verständlich Gewalt ausüben.
Architektur ist Stein gewordene Politik. Das wissen auch die Lobbyisten, die den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses herbeischreien. Walter Ulbricht ließ das Schloss aus politischen Gründen sprengen, und um diese Entscheidung null und nichtig zu machen, wollen restaurative Kreise es unbedingt wiederhaben. Die feierliche Einweihung des wieder erbauten Stadtschlosses ist nichts, das ich erleben möchte; durch eine direkt sich anschließende erneute Sprengung allerdings könnte die Veranstaltung Reiz gewinnen – und sei es nur, um die entgleisenden Gesichtszüge deutschnationaler Trommelköpfe wie Wolf Jobst Siedler studieren zu können.
Längst fällig ist auch die nationaltriumphale Siegessäule; seit mehr als 80 Jahren träumen Dadaisten und Anarchisten von ihrer Wegsprengung. Wahr geworden ist der Traum bisher nur in einem Bild des Berliner Malers Sigurd Wendland. Auch das Olympiastadion, von Albert Speer gebaut und von Arno Breker mit klotzigen Heldenstatuen aufgedonnert, wartet schon viel zu lange auf den finalen Rettungswumms. Es gibt viel zu tun – reißen wir’s ab. WIGLAF DROSTE
„SprengAnträge“ gibt es bei der „37,6[o]Abteilung“, Dorotheenstr. 90, 10117 Berlin, Fax: (0 30) 44 35 88 57
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