: Wildes Kurdistan
Reiten für das neue Deutschland: Lorenz Schröter las im Club der Visionäre aus seinem Roman „Mein Esel Bella“
In Zeiten, in denen das zur Schau gestellte Großbürgertum wieder en vogue ist, muss man sich nicht wundern, wenn junge und jung sein wollende Hochstapler die Literatur benutzen, um in die Teakholz-Lesesäle Baujahr 1999 eingelassen zu werden. Gut kann man das seit einiger Zeit bei www.ampool.de beobachten: Georg M. Oswald, der unvermeidliche Christian Kracht, Elke Naters & Sven Lager oder Andrian Kreye breiten dort ihre kleinen Empfindlichkeiten aus, stellen sich vor Ankleidezimmerspiegel, denken an Hemden, lustige Bilder, tagebücheln ein bisschen oder schreiben sonst was. Und allen diesen Texten ist eigen, dass sie allein auf sich selbst abheben. Ich schreibe, also mach ich. Mit.
Zu diesen Autoren, die zu Literatur so passen wie der Kanzler zum edlen Anzug, gehört Lorenz Schröter. Er verbreitet sich im Pool, in der Zeit, in der Frankfurter Rundschau, soll, so munkelt man, wilde Jahre hinter sich haben, verbreitet sich allerdings nun lieber über Socken. Schröter hat soeben sein drittes Buch („Mein Esel Bella“, Rotbuch Verlag, 150 Seiten, 28 DM) veröffentlicht, sein erstes seit über zehn Jahren.
Zu dem Zweck ist er auf einem Esel durch Deutschland geritten und hat sich Notizen gemacht. Seine Lesung im Treptower Club der Visionäre enthüllte: Schröter hat nicht mehr gesehen und erlebt, als das, was man sich vorstellt, erleben zu können, wenn man auf einem Esel durch Deutschland reitet. Schröter schreibt, dass er blöd aussah, dass er stank und ihm der Arsch wehtat, dass er mit Frauen flirtete und dass die dicken Frauen in den Dörfern dick waren.
Selbstredend kann man selbst das, was alle erwarten, so schildern, dass es eine neue Tiefe erhält. Doch einem wie Lorenz Schröter ist es um die Oberfläche zu tun. Ein Pickel ist da ebenso wichtig wie Gott. Bereits die Reise selbst ist das Kunstwerk, das Aufschreiben eher eine Last: „Und sonst? Ich habe wirklich alle Socken weggeworfen und mir sieben Paar Kniestrümpfe gekauft. Eine alte Freundin wurde in Kurdistan erschossen, und in derselben Woche war ich auf einem Konzert von Blondie. Sie ist Gott. Vor zwanzig Jahren habe ich sie schon mal gesehen. Es war, als ob man einen verschütteten Punkt trifft, und eine sentimentale Supernova ging in mit auf. Meinen ältesten Freund habe ich nach Jahren wieder besucht, dem geht es nicht so gut.“ – Trifft man in diesen Absätzen auf einen Punkt, hallo, geht auch eine Supernova im Leser auf. Hat Rotbuch eigentlich kein Lektorat mehr? Und dann das hier: Freundin in Kurdistan erschossen, Kniestrümpfe gekauft. Liest das kein Mensch?
Lorenz liest tatsächlich so mies, wie er schreibt. Das Polternde seiner Satzineinanderfügungen und die Abgründe nach jedem der seltenen Punkte wurden noch klarer, und aus dem Mund des Autors klangen die aneinandergereihten Klischeesätze noch schlimmer. Das Publikum im Club der Visionäre beklatschte es trotzdem brav.
Anschließend konnte man dann dastehen, zwischen diesen ganzen Kulturhochstaplerinnen und -hochstaplern und, wenn man länger hinsah, sehen, wie unwohl sie sich fühlen – mit ihrem Sekt oder Bier in der Hand, die Zigarette lässig im Maul und nichts zu reden außer über Frisur und Urlaub. Irgendwie klappt es noch nicht so richtig mit dem Mitmachen beim neuen großen deutschen Bürgertum, Unterabteilung Literatur. So steht man sonst in Tennisclubs herum, wenn man Tennis hasst, aber zu den Dorfhonoratioren zählen will. Oder in Schlafzimmern, wenn man sich eigentlich nach einem Ankleidezimmer sehnt. JÖRG SUNDERMEIER
Hinweis:Lorenz Schröter geht es um die Oberfläche. Ein Pickel ist da ebenso wichtig wie Gott.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen