: Alle Zeichen stehen auf Krieg
Kongos Regierung beerdigt den Friedensprozess für ihr Land, die Vereinten Nationen stellen sich auf ein Scheitern ihrer Blauhelmmission ein
von DOMINIC JOHNSON
Eine neue Runde größeren Blutvergießens im Afrika der Großen Seen ist zu befürchten, nachdem der Friedensprozess für die Demokratische Republik Kongo offenbar zusammengebrochen ist. Kongos Regierung erklärte das Lusaka-Abkommen vom Juli 1999, das dem umkämpften Land Frieden bringen soll, am Mittwochabend genau 410 Tage nach seiner Unterzeichnung für offiziell ausgesetzt. Menschenrechtsminister She Okitundu sagte, das Abkommen berücksichtige die Souveränität des Landes nicht. Am Tag zuvor hatte sich Präsident Laurent-Désiré Kabila in einem Interview ähnlich geäußert.
Okitundus Erklärung erfolgte, während der UN-Sicherheitsrat in New York den ersten Schritt zur Beerdigung der einst geplanten großen UN-Blauhelmmission für den Kongo tat. Er verlängerte die Mission der derzeit 258 UN-Beobachter im Land um lediglich sechs Wochen – üblich sind sechs Monate – und zog damit die Konsequenz aus der wiederholten Weigerung der kongolesischen Regierung, eine ungehinderte Stationierung von UN-Truppen zu erlauben. Nach Gesprächen in der Hauptstadt Kinshasa verkündete gestern zwar der UN-Sonderbeauftragte für den Kongo, Kamel Morjane, die Regierung Kabila erlaube eine UN-Truppe nun doch, und kündigte an, die „eingefrorenen Vorbereitungen“ dafür wieder aufzunehmen. Aber bisher hat Kongos Regierung alle Zusagen gegenüber der UNO später wieder zurückgenommen.
Unter diesen Umständen ist eine Umsetzung des Lusaka-Abkommens nicht möglich. Das Abkommen war im Juli 1999 unterschrieben worden, um einen der brutalsten Kriege der Welt zu beenden. Von den 50 Millionen Einwohnern des gesamten Landes sind nach UN-Angaben über 1,5 Millionen auf der Flucht. Weniger als ein Fünftel davon sind für Hilfsorganisationen erreichbar. In einigen Landesteilen haben zeitweise über zwei Drittel der Bevölkerung dauerhaft ihre Dörfer verlassen und zum Teil Monate, wenn nicht gar Jahre, völlig mittellos im Regenwald gelebt. Nach Berechnungen des US-amerikanischen „International Rescue Committee“ sind allein im Osten des Kongo seit 1998 1,7 Millionen Menschen an kriegsbedingter Vertreibung, Hunger und Seuchen gestorben – ein Zwölftel der Bevölkerung.
Der Kongo ist seit Kriegsbeginn 1998 faktisch geteilt. Den Osten beherrscht die von Ruanda unterstützte Rebellengruppe RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie), den Norden die von Uganda unterstützte MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung). Im Rest des Landes hält sich Kabila mit Hilfe seiner Verbündeten Angola, Namibia und Simbabwe. Alle Kriegsparteien plündern die Rohstoffe unter ihrer Kontrolle aus. Die Lage verkompliziert sich dadurch, dass im RCD-Rebellengebiet lokale Guerillagruppen und ruandische Hutu-Milizen aktiv sind, beide von Kabila unterstützt.
Das Lusaka-Abkommen sah den Abzug aller ausländischer Truppen und die parallele Stationierung von UN-Blauhelmen vor. Gleichzeitig sollte zwischen den politischen Kräften des Kongo ein „nationaler Dialog“ unter Leitung eines internationalen Vermittlers beginnen.
Doch es dauerte bis Februar 2000, bevor der UN-Sicherheitsrat überhaupt beschloss, 5.000 Blauhelme zum Schutz von 500 UN-Beobachtern in den Kongo zu schicken. Kein einziger ist bisher angekommen. Das lag nicht nur an der bürokratischen Langsamkeit der UNO, sondern auch daran, dass Kabila der UN-Mission immer neue bürokratische Hürden in den Weg legte und dies je nach Wahl mit Hetzkampagnen oder wertlosen Versprechen von Zusammenarbeit garnierte. Kabila boykottiert auch den internationalen Vermittler Ketumile Masire, der den im Lusaka-Abkommen vorgesehenen „nationalen Dialog“ organisieren soll.
Als sich Kabila bei einem erneuten Gipfeltreffen des südlichen Afrika in Lusaka Anfang letzter Woche erneut stur stellte, äußerten sich sogar Kabilas Verbündete kritisch. Angolas Präsident Eduardo Dos Santos soll laut angolanischen Medien gesagt haben, er und die anderen Verbündeten Kabilas hätten „von Kabilas Arroganz genug“.
Doch am vergangenen Freitag erklärte ein neu eingesetztes kongolesisches Parlament, dessen Mitglieder sämtlich von der Regierung Kabila ernannt sind, in seinem allerersten Beschluss das Lusaka-Abkommen für tot. Die Resolution „verurteilt das Waffenstillstandsabkommen von Lusaka, weil es veraltet ist“ und „ruft das kongolesische Volk auf, ab heute im Namen des Rechtes auf Selbstverteidigung mobil zu machen“.
Gekämpft wird im Kongo schon seit Wochen. Zwischen Mitte Juli und Mitte August versuchten Kabilas Truppen, im äußersten Nordwesten des Landes die MLC-Rebellen zurückzudrängen. Unterstützt von Soldaten aus Simbabwe, stießen sie 200 Kilometer weit vor, bevor die MLC und Truppen aus Uganda sie zum Stillstand brachten – in einer Schlacht, bei der Kabila 800 Soldaten verlor. Nun bereitet Kabila nach RCD-Angaben eine weitere Offensive vor – diesmal in Richtung der Stadt Kisangani, die nach schweren Kämpfen zwischen Ruanda und Uganda im Juni entmilitarisiert wurde und demnächst unter UN-Kontrolle fallen sollte. Die UN-Beobachter dort stellten ihre Tätigkeit vor wenigen Tagen ein, nachdem ein britischer UN-Mitarbeiter erhängt in seinem Hotelzimmer gefunden wurde.
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