: System gebar sich selbst
Kohl soll schwarze Kassen schon 1982 eingerichtet haben – mit Fraktionsmitteln
von HEIDE PLATEN
Das System der schwarzen CDU-Kassen und Konten in der Schweiz und anderswo war von Anfang an ein „System Kohl“. Es begann mit dem Griff in die Fraktionskasse und wurde von Exkanzler Helmut Kohl schon zu Beginn seiner Amtszeit 1982 eigenhändig eingerichtet und mit sechs Millionen Mark ausgestattet. Das jedenfalls berichtete gestern die Süddeutsche Zeitung.
Kohl reagierte ausweichend auf diese neuen Vorwürfe. Er habe „an diesen Vorgang im Einzelnen keine Erinnerung“. So recht dementieren mochte er aber auch nicht. Zwar sei die Behauptung, er habe die schwarzen Kassen selbst geschaffen, „unzutreffend“, aber es sei „denkbar, dass vor dem schweren Bundestagswahlkampf im März 1983 auch alle Möglichkeiten der Fraktion eingesetzt wurden“. Das hätten, maulte Kohl, andere Parteien schließlich auch getan.
Das System Kohl hat, erklären nun Insider, zwar wesentlich früher als bisher zugegeben, aber auch erst einmal klein angefangen. Zuerst habe der Parteichef mindestens seit seinem Amtsantritt 1982 – wenn nicht früher – begonnen, den Wohlstand seiner Fraktionsmitglieder abzuschöpfen und als Notgroschen zu horten – auf geheime Treuhandkonten transferiert und in Wertpapieren gut angelegt. Da kamen als Anfangskapital für die bis dahin chronisch marode Parteikasse schon mal sechs Millionen zusammen, die der damalige Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, annahm und an den Finanzberater Horst Weyrauch weiterleitete, der sie für die Partei versteckte. Nach und nach läpperten sich 20 Millionen Mark zusammen.
Juristen und Finanzexperten streiten auch heute noch über diese Grauzone. Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim etwa meint, dies sei „eindeutig rechtswidrig“. Er beruft sich auf ein Urteil des Verfassungsgerichts von 1966, in dem es heißt, es sei „ein die Verfassung verletzender Missbrauch“, wenn Fraktionsmittel aus öffentlichen Kassen als „verschleierte Parteienfinanzierung“ verwendet würden. Eine endgültige Entscheidung der Bundestagsverwaltung darüber, ob Fraktionsmittel, die aus dem Bundeshaushalt stammen, vor 1994 zu Parteispenden zweckentfremdet werden durften, steht noch aus.
1994 aber wurde das Abgeordnetengesetz geändert – als Folge eines Verfassungsgerichtsurteils von 1992 – nun heißt es über die Fraktionsbezüge: „Eine Verwendung für Parteiaufgaben ist unzulässig.“ Nebenbei müssen Parteispenden natürlich auch noch offengelegt und Vermögen versteuert werden. Die CDU muss nun auch für die umgewidmete Fraktionsbeträge wiederum mit hohen Strafen rechnen.
Dass Kohl der Einzige war, der außer den Finanzjongleuren Weyrauch und Wittgenstein und ganz wenigen Eingeweihten davon gewusst habe, wird mit den neuen Erkenntnissen nicht wahrscheinlicher.
Exparteifreund Wolfgang Schäuble, damals parlamentarischer Geschäftsführer, sagte am Donnerstagabend dazu, er habe bei seinem Amtsantritt im Oktober 1982 schon „Rücklagen in Millionenhöhe“ vorgefunden. Unterlagen darüber gebe es zwar nicht mehr, aber Geldtransfers aus den Fraktionen an die Parteien seien bis in die 90er-Jahre hinein nicht unüblich gewesen.
Schäuble ist für den kommenden Montag vom Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge geladen. Christian Ströbele, Obmann der Grünen im Ausschuss, kündigte gestern an, dass das Gremium ihn dann auch zu den neuen Vorwürfen befragen werde. Er gehe davon aus, dass das Geld weder für die Bundesparteiarbeit noch für Landesverbände oder „Propaganda“ hätte verwendet werden dürfen: „Das wäre auch damals schon illegal gewesen.“ Das habe auch den Unionspolitikern schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 1992 klar sein müssen. SPD-Generalsekretär Franz Müntefering erklärte, die 16-jährige Herrschaft Kohls habe offensichtlich gerade wegen der schwarzen Kassen so lange funktioniert. Kohl sei von Anfang an „unehrlich“ gewesen. Die Bonner Staatsanwaltschaft sah gestern keinen Grund zu neuen Ermittlungen. Falls die Vorwürfe tatsächlich strafrechtlich relevant sein sollten, dann wären sie juristisch längst verjährt. Wegen der Abhebung von 1,146 Millionen von einem CDU-Fraktionskonto im Jahr 1996 werde noch ermittelt.
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