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Vielleicht ein bisschen zu viel Hilfe

Skins pöbeln einen jungen Briten an, zwei Polizistinnen verfrachten ihn in ihr Auto. So viel steht fest. Was sonst noch an diesem Abend im brandenburgischen Rathenow geschah, ist umstritten: Haben die Beamtinnen sich mit den Rechten verbrüdert?

von JEANNETTE GODDAR

Als er nach Deutschland einreiste, glaubte der britische Fotograf Justin Jin, seine Begegnung mit dem Thema Rechtsextremismus werde rein journalistischer Natur sein. Ein Irrtum: Letzten Freitag wurde Jin mitten im brandenburgischen Rathenow von einem Skinhead mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Nach Angaben des Vereins „Opferperspektive“, der Jin betreut, erhebt der Journalist jetzt schwere Vorwürfe gegen die Rathenower Polizei: Statt sich vor die Opfer zu stellen, hätten die zu Hilfe gerufenen Beamtinnen sich mit den Rechtsextremen „verbrüdert“.

Die Polizei bestreitet die Vorwürfe. Bereits heute Nachmittag findet vor dem Amtsgericht Rathenow der Prozess gegen den 21-jährigen Angreifer statt. Die Anklage lautet auf Beleidigung und Körperverletzung.

Nach Angaben von Kay Wendel, Mitarbeiter der Opferperspektive, stellte sich der Verlauf des Abends wie folgt dar: Gemeinsam mit drei afrikanischen Asylbewerbern sei der chinesischstämmige Jin am Freitagabend gegen 22 Uhr über einen Rathenower Gehweg spaziert, als plötzlich jemand grölte: „Haut ab, ihr Scheißneger, das ist mein Privatgelände!“ Als der Skinhead daraufhin zu einem Pflasterstein griff und auf den Afrikaner losging, habe Jin seine Kamera gezückt, worauf er selbst mit der Faust ins Gesicht geschlagen wurde. Einem der Asylbewerber gelang es, die Polizei zu rufen.

Anstatt ihre Aufmerksamkeit auf den Schläger zu konzentrieren, hätten die zwei Beamtinnen sich schwerpunktmäßig mit dem Journalisten beschäftigt: Eine der Frauen habe versucht, ihm die Kamera zu entreißen. In der Zwischenzeit hätten sich weitere Skinheads aufgebaut und die Szene beobachtet. Daraufhin, so Wendel, seien dem Journalisten Jin die Arme auf dem Rücken verdreht und sei er in den Polizeiwagen gestoßen worden. „Unter körperlichem Einsatz“, sagt Wendel, sei Jin dort das Handy, mit dem er einen Anwalt rufen wollte, weggenommen worden. Auf der Wache angekommen, habe sich erst gegen 1 Uhr nachts ein Übersetzer blicken lassen, der den Fall aufnahm. Jin erstattete Anzeige gegen den 21-jährigen Täter, plant nach Angaben der „Opferperspektive“ aber auch, gegen die Beamtinnen eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen.

Nach Angaben des Polizeipräsidiums Oranienburg hat sich der Vorfall „gänzlich anders“ abgespielt. Die Beamtinnen hätten lediglich versucht, die Lage zu beruhigen, heißt es in einer Erklärung. Da der nicht als Journalist identifizierte Jin immer weiter fotografiert habe und eine Eskalation nicht ausgeschlossen werden konnte, sei der Brite „zum Schutz der eigenen Person in den Funkstreifenwagen gebeten“ worden. Erst auf der Wache habe Jin sich als Journalist zu erkennen gegeben.

Justin Jin wollte in Rathenow die Bewohner des dortigen Asylbewerberheims porträtieren. Diese hatten bundesweit Aufsehen erregt, weil sie nach Anfeindungen in Brandenburg öffentlich um die Verlegung in ein anderes Bundesland baten.

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