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Absatzmarkt Berlin

In Berlin soll ein polnisches Handelszentrum entstehen. Die Investition kann nicht darüber hinweg- täuschen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zum Nachbarland in eine Schieflage geraten sind

von UWE RADA

Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz ist glücklich. Jahrelang hat er nach einem Investor für eine Stadtbrache am Moritzplatz, an der Grenze zwischen den Bezirken Kreuzberg und Mitte, gesucht. Nun ist das bündnisgrüne Bezirksoberhaupt fündig geworden. Dort, wo vor dem Kriege das Kaufhaus Wertheim stand, soll schon im kommenden Jahr ein „polnisches Handelszentrum“ entstehen. Zumindest in Kreuzberg scheint die „Ost-West-Metropole“, die in Berlin derzeit wieder auf Plakatwänden beschworen wird, kein Hirngespinst zu sein.

Glaubt man dem Kreuzberger Bürgermeister, so dürfte dem Handelszentrum, vor einigen Monaten noch als „Haus der polnischen Wirtschaft“ projektiert, nichts im Wege stehen. Nach mehreren Gesprächen mit dem in Warschau ansässigen Investor LandPol favorisiert nicht nur der Bezirk das Projekt, sondern auch der Berliner Senat.

Wenn LandPol in den kommenden Wochen ein schlüssiges Finanzierungs- und Nutzungskonzept vorlegt, soll es grünes Licht geben. Mit dem Bau könnte dann bereits Anfang des kommenden Jahres begonnen werden. Auf über 15.000 Quadratmeter Nutzfläche soll das Handelszenrum dann eine Schaufläche des polnischen Unternehmergeistes in Berlin sein: mit Handelsvertretungen, Dienstleistungsunternehmen, Einzelhandel und Gastronomie.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Polen, schon vor dem Fall der Mauer recht vielfältig, haben nach 1989 neuen Schwung bekommen. Mittlerweile, so schätzt man, wohnen 130.000 polnischsprachige Menschen ständig oder zeitweise in Berlin. Viele von ihnen sind inzwischen integriert und haben einen deutschen Pass. Andere haben, legal oder illegal, das „neue Berlin“ mitaufgebaut, wiederum andere arbeiten im Import-Export-Geschäft, mit einem Bein in Berlin, mit dem anderen in Polen. Allen gemeinsam jedoch ist, dass Polski Berlin, das polnische Berlin, mittlerweile ein Wirtschaftsfaktor geworden ist, um den auf vielfältige Weise geworben wird.

Zum Beispiel in Poznań. In Polens zweitgrößter Handelsmetropole hat die Berliner Marketing-Gesellschaft BAO im Juni einen „Berliner Tag in Posen“ veranstaltet. Auf der größten polnische Messe für Investitionsgüter und Industrietechnologien sollten polnische Investoren für die deutsche Hauptstadt geworben und neue Absatzmärkte für Berliner Unternehmer erschlossen werden.

Jacek Barełkowski glaubt freilich nicht an solche Wirtschaftsevents. „Dass polnische Firmen in Berlin investieren“, sagt er, „ist angesichts der hohen Preise und Löhne in der Stadt unrealistisch.“ Für den Inhaber eines Reisebüros und Vorsitzenden des „Vereins polnischer Kaufleute“ ist eher das Gegenteil der in Poznań formulierten Wünsche wahrscheinlich. „Berliner Firmen investieren in Polen, während die Polen in Berlin vor allem einen riesigen Absatzmarkt sehen.“

In der Tat: Neben den Pendelmigranten, die in Berlin vor allem auf dem Bau oder im Bereich privater Dienstleistungen arbeiten, konzentrieren sich die berlinisch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen wie schon vor dem Fall der Mauer auf den Handel. Über die Hälfte der in Berlin ansässigen polnischen Geschäftsleute arbeiten in dieser Branche. „Das sind meist Import-Export-Geschäfte“, sagt Jacek Barełkowski vieldeutig, „wobei oft nicht klar ist, womit da eigentlich gehandelt wird.“ Ganz oben stünden aber Arzneimittel oder Automobile. So lebe etwa der Inhaber der polnischen BMW-Generalvertretung in Berlin. Importiert wiederum würden Güter wie Altglascontainer, die aufgrund der niedrigen Löhne in Polen hergestellt würden.

Vom Export und Import kann man auch im Hause von Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) ein Lied singen, eines freilich mit deutlichen Misstönen. Schließlich ist der Berliner Handel mit Polen nicht gerade eine Erfolgsgeschichte der Ost-West-Metropole. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr sind die Berliner Exporte ins Nachbarland um zehn Prozent auf 1,2 Milliarden Mark zurückgegangen. Im Gegenzug verzeichneten die Importe aus Polen in der Hauptstadt einen Zuwachs von über zehn Prozent. Als Gründe nennt BAO-Geschäftsführer Jörg Schlegel vor allem die „Nachwirkungen der Russlandkrise von 1998“. Aber auch die Umstellung der polnischen Exportwirtschaft weg von den Märkten der GUS und hin zu denen in Westeuropa hätten zu dieser Entwicklung beigetragen.

Das ist allerdings noch nicht die ganze Wahrheit. Auch der drastische Abbau industrieller Arbeitsmärkte macht sich in den neuesten Handelsstatistiken bemerkbar. Trotz der nur 70 Kilometer, die die Hauptstadt vom Nachbarland trennen, haben andere Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Hessen bessere Außenhandelsbilanzen mit Polen. Dies liegt, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums, vor allem am Export im Bereich des Maschinenbaus. Außer dem Waggonbauer Adtranz, der sich derzeit um einen Zuschlag zum Verkauf von Straßenbahnen nach Wrocław bemüht, hat der Großraum Berlin in dieser Hinsicht wenig zu bieten.

Vielleicht sind es auch diese Zahlen, die Jacek Barełkowski zweifeln lassen, ob dem polnischen Handelszentrum viel Erfolg beschieden sein wird. „Berlin“, so Barełkowski, „ist für die polnischen Firmen kein Standort.“

So hätten sich selbst die polnischen Banken wie etwa die Bank Handlowy oder die Bank Pomorski wieder aus Berlin zurückgezogen. „Die ganzen Finanzierungsgeschäfte“, so Barełkowski, „laufen inzwischen in Polen.“ Neben Warschau macht vor allem Posen, Polens zweitwichtigster Finanzplatz mit inzwischen 40 Bankniederlassungen, Berlin Konkurrenz. Und ob die in Berlin ansässigen polnischen Geschäftsinhaber den Bedarf nach einem Handelszentrum hätten, sei zweifelhaft.

Dass das geplante „Haus der polnischen Wirtschaft“ am Moritzplatz in „polnisches Handelszentrum“ umbenannt wurde, mag demnach nicht nur daran liegen, dass der Gebrauch des Stereotyps „polnische Wirtschaft“ für Berlin eher peinlich gewesen wäre. Hinter dem Namenswechsel verbirgt sich auch ein neuer Realismus, was die wirtschaftlichen Beziehungen der Hauptstadt nach Osteuropa angeht. Berlin ist, da hat Jacek Barełkowski recht, kein osteuropäischer Wirtschaftsstandort, sondern vor allem Absatzmarkt. Und es ist nach wie vor Arbeitsmarkt für Arbeitsmigranten, deren Lohn allerdings nicht in Berlin ausgegeben wird, sondern auf der anderen Seite der Grenze.

Kreuzbergs Bürgermeister Schulz ist trotzdem froh. Nicht nur, weil mit dem Investor LandPol endlich eine Lösung für das Brachgrundstück am Moritzplatz in Aussicht steht. Der grüne Kommunalpolitiker freut sich auch, dass das Bauprojekt an diesem Ort etwas kleiner ausfällt, als noch vor einigen Jahren geplant. Damals nämlich sollte an derselben Stelle ein „World Trade Center“ entstehen.

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